Könnte die Weekly Shounen Jump bald am Ende sein?

Ich habe in den letzten Monaten immer häufiger Diskussionen über den Zustand der Weekly Shōnen Jump aufkommen sehen. Sei es auf Reddit, Twitter, Discord oder durch Youtube-Videos. Ich beschäftige mich schon seit einigen Jahren rein aus persönlichem Interesse mit der „Analyse“ des Magazins und teile weiterhin den allgemeinen Konsens zu seiner Situation nicht. Warum das so ist, möchte ich hiermit erläutern. Es folgt: Eine subjektive Analyse der Weekly Shōnen Jump basierend auf Daten, Meinungen und Vermutungen.

Ein Gastbeitrag von JesusInStripeZ.

Die Ausgangslage

Beginnen sollten wir damit, dass Printmagazine als Unterhaltungsmedium auf dem absteigenden Ast sind. Das dürfte für die meisten Menschen kein Geheimnis sein, und die Weekly Shōnen Jump (im folgenden auch „WSJ“ genannt) hält sich im Vergleich zu ihren direkten Konkurrenten anderer Verlagshäuser sogar noch erstaunlich gut, was die Auflage angeht. Trotzdem schreitet das digitale Zeitalter unaufhaltsam voran und auch die Nutzerzahlen der eigenen Onlineplattform Shōnen Jump Plus (im Folgenden auch „SJ+“ genannt) sprechen hier eine deutliche Sprache.

So gelangt man schon zum ersten relevanten Ereignis, das man für eine Analyse der WSJ betrachten muss: Der Start von SJ+. SJ+ startete im Jahr 2014 und hostet als Onlineplattform nicht nur die digitale Ausgabe der WSJ und Serien anderer Magazine (wie zz. Oshi no Ko – in Deutschland auch bekannt als Mein Star – von Aka Akasaka und Mengo Yokoyari aus der Weekly Young Jump), sondern auch „Eigenproduktionen“, auf die ich später noch zurückkommen werde. Das ist erst einmal etwas positives für die WSJ. Man erreicht dadurch eine weitere Zielgruppe und kann möglicherweise seine Verkaufszahlen steigern.

Das nächste relevante Ereignis ist der Wechsel des Chefredakteurs 2017. Ich kann keine Belege für die Dinge nennen, die ich im Zusammenhang mit dieser Tatsache nennen werde, aber man kann es nicht von der Hand weisen, dass die Entwicklungen seit 2017 auffällig sind. Es ist an dieser Stelle vielleicht interessant zu erwähnen, dass die Redaktionen von WSJ und SJ+ zwar eng zusammenarbeiten, es sich aber trotzdem um zwei verschiedene Redaktionen handelt. Das wird, wie bereits angedeutet, vor allem im Hinblick auf die jeweiligen Serialisierungen spannend. 2017 und 2018 verliefen für das Magazin noch wie immer. Mit We Never Learn, Dr. Stone, Act-Age, Jujutsu Kaisen und Chainsaw Man zum Ende des Jahres starten fünf Titel, die man als „Hits“ bezeichnen könnte, wenn man „Hit“ als Titel definiert, der mehr als 100.000 Kopien in der ersten Woche nach Veröffentlichung eines Bandes verkauft. Keiner der Titel hat dies mit dem ersten Band geschafft und We Never Learn hat sich nach dem Brechen der Barriere nicht dauerhaft über dieser halten können, aber We Never Learn unterliegt als Harem/Ecchi/Romcom ohnehin geringeren Erwartungen als andere Titel, was Verkäufe betrifft. Trotzdem kann man alle diese Titel getrost als Hits bezeichnen. Immer noch so weit so gut.

Die Entwicklung seit 2019 …

Dann blicken wir für diesen Teil noch auf 2019. Ausgabe #1 2019 ist tatsächlich die Ausgabe, in der Chainsaw Man debütierte. Da die Magazin-Nummerierung aber nicht immer mit den Jahreszahlen übereinstimmt, ist die erste Ausgabe, die auch im Jahr 2019 herauskam, Nummer #6-7. Im Magazin laufend (oder „laufend“ im Fall von HUNTERXHUNTER) waren damals, geordnet nach Beginn der Veröffentlichung:

  • One Piece (1997)
  • HUNTERXHUNTER (1998)
  • Haikyuu (2012)
  • Shokugeki no Soma (2012)
  • Hinomaru Zumo (2014)
  • Boku no Hero Academia (2014)
  • Black Clover (2015)
  • Yuragi-sou no Yuuna-san (2016)
  • Kimetsu no Yaiba (2016)
  • Boruto: Naruto Next Generations (2016)
  • Yakusoku no Neverland (2016)
  • We Never Learn (2017)
  • Dr. Stone (2017)
  • Act-Age (2018)
  • Jujutsu Kaisen (2018)
  • Jimoto ga Japan (2018)
  • Shishunki Renaissance! David-kun (2018)
  • Chainsaw Man (2018)
  • Ne0;lation (2018) und
  • Gokutei Higuma (2018)

Mehr als die Hälfte dieser Titel war zu diesem Zeitpunkt bereits ein Hit oder würde sich zukünftig zu einem entwickeln. 4/7 Titeln aus dem Jahr 2018 sind übrigens geaxed worden. Das ist relativ normal, zeigt aber auch wie hart der Kampf um einen Platz in der WSJ ist. Die Verkaufszahlen, die manche geaxede WSJ-Manga vorweisen können, würden in anderen Magazin vollkommen ausreichen. Es wäre etwas witzlos, jetzt einfach nur aufzuzählen, wie viele der Titel im Jahr 2022 noch im Magazin sind, vor allem, weil es ja nichts darüber aussagt, ob nicht neue Hits dazugekommen sind. Ich mache es aber trotzdem. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Textstelle waren es 4 + 1. In der ersten Ausgabe, die im Jahr 2022 erschien waren es noch 5 + 1. Dazwischen geendet ist Dr. Stone. Da HUNTERXHUNTER seit über drei Jahren wieder mit mindestens zehn Kapiteln im Magazin vertreten sein wird, gleichzeitig aber keine Sicherheit besteht, dass Togashi längerfristig weiterveröffentlichen wird, bleibe ich hier erstmal bei der gesonderten Darstellung von HUNTERXHUNTER. Soweit also zu den letzten Jahren der WSJ.

Es sind zwar einige Titel dabei, von denen man zumindest schon einmal gehört hat, wie Hetalia, das Nisekoi Spin-Off oder Fire Punch, damit ist man aber auch schon in 2016 angekommen. Obwohl man da mit World’s End Harem, My Hero Academia: Vigilantes und Kanata no Astra definitiv (weitere) Erfolge verbuchen kann, sieht das Gesamtbild weiterhin unbeeindruckend aus. Für 2017 und 2018 kommen noch Aharen-san wa Hakarenai, Summertime Render und Jigokuraku dazu, die man schon eindeutig als Erfolge bezeichnen kann, auch wenn drei erfolgreiche Titel in zwei Jahren doch eigentlich (hallo Foreshadowing) eher dünn ist.

… und aus der Sicht der Shōnen Jump Plus 

Leider gibt es für SJ+ keine schöne Datenbank wie für WSJ (zumindest ist mir keine bekannt), was eine Auflistung wie oben zu einer Aufgabe macht, auf die ich ehrlich gesagt in dem Umfang keine Lust habe, vor allem da es hier von Natur aus nicht wirklich aussagekräftig ist (dazu später mehr). Anfang 2019 befanden sich jedoch u. a. folgende Titel im Magazin:

  • World’s End Harem
  • My Hero Academia: Vigilantes
  • Aharen-san wa Hakarenai
  • Summertime Render
  • Jigokuraku
  • Dorei Yuugi
  • Hidarikki no Eren
  • Die Darling in the Franxx-Mangaadaption und ganz frisch
  • Mato Seihei no Slave.

Nicht unbedingt schlecht, aber Jigokuraku ist mit 3,6 Millionen Bänden im Umlauf schon der erfolgreichste Titel. Im Vergleich zur WSJ, in der zum damaligen Zeitpunkt mindestens drei der aktiven Serien mehr Bände im Umlauf hatten als alle SJ+-Titel zusammen, sind das natürlich nur Peanuts. Peanuts sind gleichzeitig auch eine wunderbare Überleitung (es tut mir leid, ich konnte nicht widerstehen, haha) zu

Die Gegenwart

Es mag etwas seltsam erscheinen, aber ich möchte hier auch die jüngere Vergangenheit mit einbeziehen, denn die Entwicklungen um das Jahr 2019 wirken bis heute nach und ergeben zusammen mit der gegenwärtigen Situation ein Gesamtpaket. Mit dem Start von Spy x Family hatte sich in der Dynamik zwischen WSJ und SJ+ etwas Grundlegendes verändert. Auf einmal war SJ+ nicht mehr etwas, das man als „nettes Gimmick“ betrachten kann, sondern praktisch über Nacht konkurrenzfähig. Inzwischen dürfte kaum jemanden entgangen sein, zu was für einem Giganten sich die Serie entwickelt hat, bei über 21 Millionen Bänden im Umlauf und einer guten Chance auf Platz #2 in der Anzahl verkaufter Bände in 2022:

Schon 2020 und 2021 landete Spy x Family auf den Plätzen #9 und #8. Wer sich ein bisschen mit SJ+ auskennt, der sieht auf Platz #8 für das Halbjahr 2022 sogar direkt die nächste Serie aus dem Magazin. Kaiju #8 hat 2020 einen ähnlich kometenhaften Aufstieg hingelegt und ist 2021 auf einem sehr starken 11. Platz gelandet. Auch das „mittlere Segment“ hat 2019 und 2020 bei SJ+ nicht enttäuscht. Mato Seihei no Slave bekommt einen Anime, 2.5D Seduction hat über eine Millionen Bände im Umlauf und Kamonohashi Ron no Kindan Suiri 300.000. Dazu entscheidet sich Tatsuki Fujimoto, wieder zurück zur SJ+ zu wechseln, und nimmt seinen Megahit Chainsaw Man gleich mit. Das war (und ist auch in gewisser Weise weiterhin) ein Novum. Ein Manga, der zum damaligen Zeitpunkt immer weiter an Popularität gewann und dann ohne ein einziges neues Kapitel und mit nur zwei veröffentlichten Bänden 2021 sogar noch vor Spy x Family auf Platz #7 der jährlichen Verkäufe landete, wechselt aus dem größten Mangamagazin überhaupt? In Jugendsprache nennt man das wohl „wild“.

Die Erfolge für Shōnen Jump Plus setzen sich fort

Doch da hört es nicht auf. SJ+ produziert weiterhin Jahr für Jahr mindestens eine Hitserie. 2021 war es Dandadan, 2022 mindestens Takopii no Genzai + der Wechsel von Ayakashi Triangle, zu dem bereits einen Anime angekündigt wurde und dessen Wechsel zumindest teilweise mit den laxeren Vorgaben zu tun hat (wieder ein Thema, das später wichtig wird) und das Jahr ist ja noch nicht vorbei, da seit Juli 2022 Teil 2 von Chainsaw Man läuft. Die beiden Oneshots von Tatsuki Fujimoto lasse ich hier in der Bewertung sogar noch außen vor, auch wenn Look Back definitiv ein Erfolg ist.

Damit sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir wieder den Blick auf die Weekly Shōnen Jump richten können. Während bei der Shōnen Jump Plus die Formkurve eindeutig nach oben zeigt, kann man dies von der Weekly Shōnen Jump definitiv nicht behaupten. Ich habe weiter oben bereits erwähnt, dass von den Titeln, die Anfang 2019 im Magazin waren, inzwischen nur noch vier (+HUNTERXHUNTER) übrig sind. Die WSJ hat also seit Anfang 2019 ganze neun (!) Serien verloren, die die 100.000er-Marke überschritten haben. Der Großteil ist regulär beendet worden (Haikyuu, Kimetsu no Yaiba, Yakusoku no Neverland, We Never Learn, Dr. Stone und Chainsaw Man), Boruto hat das Magazin gewechselt, bei Shokugeki no Soma munkelt man vom Absetzen aufgrund sinkender Verkaufszahlen und bei Act-Age wurde der Autor verhaftet. Wenn man wollte, könnte man zu diesen neun auch noch Gintama dazu zählen, welcher ein paar Monate vorher in der WSJ geendet hatte und dann noch doch ein wenig in einem anderen Magazin fortgesetzt wurde.

Lesenswert: Der Aufstieg und Fall von Shokugeki no Soma 

Beunruhigende Entwicklungen für Weekly Shounen Jump

Das sind bis heute zwei bis drei Hits, die das Magazin im Schnitt pro Jahr verloren hat. Wer sich zu dem Thema (besonders auf englischen Foren) schonmal unterhalten hat, der wird den Satz „Jump always finds new hits.“ so oder so ähnlich schon einmal gehört haben. Das Problem ist aber, dass das für die letzten Jahren schlicht nicht mehr stimmt. Der einzige Titel, der 2019 überhaupt überlebt hat, ist Yozakura Family (Agravity Boys ist etwas unklar. Ich zähle es tendenziell trotzdem eher zu axed, als nicht). Hier ist man mit für das Magazin eher enttäuschenden Zahlen gestartet und steht auch 10 Bände später nicht viel besser da. Groß von der Stelle kommt man schon seit Band 8 nicht mehr.

Diese Entwicklung lässt sich auch in den Folgejahren beobachten. 2020 hat zwar ganze fünf Titel, die momentan noch laufen, aber mit Mashle bisher auch nur einen einzigen Hit. Ungünstigerweise ist es gerade Mashle, der bald enden wird. Auch hier ist die Entwicklung aber nicht mehr groß erfolgversprechend. Animeadaptionen hätten hier eventuell Abhilfe schaffen können, aber Yozakura Family bekam bislang noch keinen Anime. Ob die Anime-Adaption von Mashle dem Manga einen Boost auf der Zielgeraden geben wird, ist unklar. Stattdessen eine erhalten hat der Gag-Manga Roboco & Me, der noch weniger Bände verkauft als Yozakura Family. Für Roboco ist das aber insofern nicht problematisch, dass Gagmanga ähnliche wie Harem-Manga nicht denselben Erwartungen wie die typischen Actiontitel unterliegen. In Anbetracht dessen sind 36.000 verkaufte Bände nach vier Wochen sogar sehr solide. Die anderen Titel sind das bereits angesprochene Ayakashi Triangle, welches inzwischen in der SJ+ läuft, Undead Unluck, das momentan eher gegen die Cancellation kämpfen dürfte als um einen Platz an der Sonne. Einen Lichtblick gibt es, wenn man sich die Platzierungen im ToC und die Verkäufe anschaut: Sakamoto Days.

Auch wenn Sakamoto Days noch nicht ganz die 100.000er-Grenze erreicht hat, so ist die Serie doch auf einem guten Weg dahin und damit auch eine der wenigen Serien im Magazin, die klar und signifikant wächst und sich bereits auf einem Niveau jenseits der 50.000er-Marke befindet. Ich wäre nicht überrascht, sollte Sakamoto Days schon gegen Ende des Jahre eine Anime-Ankündigung bekommen, um das Potenzial weiter auszuschlachten.

2021 ist dahingehend spannend, dass es wieder fünf Serien gibt, die (noch, da Doron Dororon sehr wahrscheinlich in den nächsten Wochen das Magazin verlassen wird und ich dann den Teil hier nochmal neu machen darf, wenn ich zu lange mit dem Schreiben brauche) im Magazin vertreten sind, aber unter ganz anderen Vorzeichen standen. Witch Watch und The Elusive Samurai kamen beide von etablierten Autoren. Kenta Shinohara (Kanata no Astra, SKET Dance) und Yusei Matsui (Assassination Classroom, Neuro) dürften vielen ein Begriff sein.

Etablierte Autoren bringen über ihren Namen immer eine gewisse Leserschaft mit. Das ist einerseits gut für die WSJ, da man sich i. d. R. auf eine gewisse Mindestmenge an Verkäufen verlassen kann, sorgt aber andererseits auch für höhere Erwartungen. Einige Mangaka konnten diese in den letzten Jahren nicht erfüllen. Darunter u. a. Masashi Kishimoto, Autor von Naruto, der mit seinem neuen Manga Samurai 8 mit großer Werbekampagne nach fünf Bänden und enttäuschenden Verkäufen bereits wieder das Feld räumen musste. Matsui und Shinohara haben es aber geschafft und konnten sich im Magazin etablieren. Elusive Samurai hätte sogar beinahe schon mit dem ersten Band die 100.000er-Barriere durchbrochen und befindet sich seitdem auf einem deutlichen Abwärtstrend, während Witch Watch es bisher noch nicht einmal über die 50.000er-Marke geschafft hat und auch nicht wirklich von der Stelle kommt.

Der vorletzte Titel aus dem Jahr 2021 (nicht chronologisch, wie einigen bei den 2020er-Manga bereits aufgefallen sein dürfte) ist PPPPPP. Ohne hier eine inhaltliche Analyse vorzunehmen, muss ich persönlich sagen, dass ich überrascht war, dass der Manga nicht gecancelt wurde. Die japanischen Leser sahen das anders und Band 1&2 dürften inzwischen jeweils auf Reprint Nummer 7 und 5 sein, was die Verkäufe deutlich verzerren dürfte. Die Serie scheint also Aufwind zu haben, aber es dürfte noch ein bisschen zu früh sein darüber zu urteilen und eigentlich sind auch selbst 30.000 verkaufte Exemplare pro Band kein Grund für Luftsprünge.

Diese Gründe liefert dafür aber Blue Box. Der zweite Titel seit 2019, der die 100.000er-Marke geknackt hat. Auch wenn das Wachstum nachzulassen scheint, so hat man es sich hier zunutze gemacht, dass der Oneshot bereits sehr beliebt war und man dadurch bereits mit einem Erfolg rechnen konnte, was sich auch direkt mit Band 1 bewahrheitet hat.

Dasselbe Prinzip hat man auch in 2022 noch einmal genutzt, doch leider befinden wir uns da bereits in einem Territorium, bei dem nur ein Titel wirklich beurteilt werden kann, und das ist Akane-banashi. Band 1 ist zum Zeitpunkt des Verfassens gerade zwei Wochen veröffentlicht und die Serie schlägt sich exzellent. Act-Age hat bewiesen, dass „solche“ Manga in der WSJ funktionieren können, aber es liegt an Yuki Suenaga und Takamasa Moue zu beweisen, dass sie den Vergleich verdienen. Ruri Dragon, der erwähnte Titel mit beliebtem Oneshot, veröffentlicht diese Woche erst sein drittes Kapitel und kann damit nicht wirklich beurteilt werden und befindet sich durch den Gesundheitszustandes des Mangakas im Hiatus.

Probleme und Lösungen

Das waren jetzt sehr viele Zahlen, die im Grunde nur eines aussagen sollen: Die Weekly Shōnen Jump hat ein Problem. Sie hat seit 2019 neun Serien verloren, die die 100.000er-Barriere fast alle regelmäßig durchbrochen haben, und im Gegenzug dafür nur zwei neue bekommen, die das ebenfalls schaffen, aber nicht einmal über 150.000 hinauskommen. Hier gilt auch nicht das “Aber die ganzen anderen Serien haben noch keinen Anime!”-Argument, das zumindest ich jetzt schon häufiger gehört habe, denn 8/9 Serien haben die 100k-Marke auch ohne einen Anime durchbrochen. Nur Dr. Stone brauchte den Schub des Anime, um sich über diese Wand zu hieven.

Selbst wenn man hier Sakamoto Days zusätzlich als Hit zählen möchte (denn ich habe keinen Zweifel daran, dass der Manga mit dem nächsten oder spätestens übernächsten Band die 100k übertreffen wird) hätte man nur 1/3 der Serien ersetzt, wobei Mashle ja schon wieder endet. Das mit dem Enden ist sowieso so ein Ding, denn auch My Hero Academia steht kurz vor dem Ende, One Piece begibt sich in die finale Saga/den finalen Arc (man streitet sich noch was es genau bedeutet) und noch einmal dasselbe gilt für Black Clover. Darf man jetzt noch den Worten von Jujutsu Kaisen-Autor Gege Akutami Glauben schenken, bleibt auch dem Überflieger der letzten Jahre nicht mehr viel Zeit. Ich glaube man erkennt das Problem, oder?

Was sind die Gründe?

Jetzt liegt doch direkt eine Frage auf der Hand: Wieso findet man bei der WSJ keine neuen Hits? Ab hier bewege ich mich, und das sage ich ganz offen, auf Spekulationsbasis. Gehen wir davon aus, dass die Redaktion der WSJ nicht absichtlich ihr eigenes Magazin sabotiert (bleiben also bei rationalen Annahmen), so ist die offensichtlichste Möglichkeit schlicht, dass die momentane Redaktion schlecht in ihrem Job ist. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass von tausenden möglichen Bewerbern kein einziger guter Titel dabei ist. Viel mehr versagen Redaktion und Redakteure, darin gute Titel zu erkennen oder auch diese zu leiten, wenn sie dann ihre Chance in der WSJ bekommen. Manga wie Red Hood, Ayashimon oder Time Paradox Ghostwriter hätten mit besserer Anleitung eventuell eine Chance gehabt. Es gibt einige Indizien dafür, dass der momentane Chefredakteur großer Fan von Gag-Manga ist, was bei den Entscheidungen durchaus eine Rolle spielen könnte, aber wie gesagt alles Spekulation (auch wenn im Februar mit Shugomaru, High School Family, Roboco und Magu-chan noch 1/5 des Magazins aus Gag-Manga bestand).

Ein zweiter Aspekt (und hier handelt es sich schon wieder nicht mehr um Spekulation) ist die Limitierung auf 20 Serien. Die WSJ ist ein Printmagazin und kann daher nicht einfach mehr Serien im Magazin laufen lassen, denn das würde für einen deutlichen Anstieg der Kosten sorgen. Die Seiten müssen schließlich auch gedruckt werden und bei einer wöchentlichen Auflage von knapp 1,4 Millionen sind gut zehn extra Doppelseiten schon eine Menge Holz … und das wäre bloß eine Serie. Bei knapp 475 Einzelseiten (ich habe zufällig eine Ausgabe hier) wären das gut 4,2% mehr Druck- und Papierkosten, die dabei entstehen, inklusive sonstiger Kosten, die ich hier gar nicht mit einbeziehen will. Es geht ja nur um die Veranschaulichung. Erhöht man die Anzahl der Serien jetzt auf 30, steigen nicht nur die Kosten weiter, sondern das Magazin wird langsam unhandlich und die erhöhten Kosten müssen irgendwie von den Kunden wieder aufgefangen werden. Was etwas suboptimal ist, wenn die Zielgruppe männliche Jugendliche sind, die das Magazin von ihrem Taschengeld kaufen. Alles in allem nicht so einfach.

Dadurch entsteht im Magazin selbst natürlich ein immenser Erfolgsdruck. Man kann es sich von Seiten der Redaktion nicht wirklich erlauben, einen Manga im Magazin zu behalten, der unter seinen Erwartungen und ohne Anzeichen auf Besserung performt, nur um zu hoffen, dass er doch noch irgendwann aufblüht. Das führt dann eben zu den vielen und schnellen Cancellations. Andere Magazine umgehen dieses Problem entweder mit geringeren Erwartungen und können es sich dann eben doch erlauben, einen oder mehrere Titel „mitzuschleifen“, oder indem sie, wie man im Englischen so schön sagt: „Scheiße an die Wand werfen und sehen was kleben bleibt“.

Das ist natürlich einfacher, wenn das Magazin nur digital existiert und man salopp gesagt dafür nur die Server und ein paar ITler extra bezahlen muss im Vergleich zur ganzen Produktionskette, die an einem Printmagazin hängt. Was man dann alles so in einer Woche veröffentlichen kann, kann man hier sehen: https://shonenjumpplus.com/series. Der Großteil davon sind Manga, die auch zum „Magazin“ Shōnen Jump Plus gehören. Dort ist man genauso wenig zimperlich damit, Serien abzusägen, aber weil man theoretisch effektiv unendlich viel Platz im Magazin hat, kann man auch jede noch so wilde Idee mal ins Magazin lassen, solange man noch einen Redakteur zur Verfügung hat, der den Titel betreuen kann.

Solche Praktiken sind aber offensichtlich nicht nur vorteilhaft für die Redaktion und die Firma, sondern auch für die Mangaka. Sie haben die Chance, mit außergewöhnlichen Ideen Erfolg zu haben, die anderswo erst gar nicht veröffentlicht worden wären. Da man durch so eine Strategie auch bewusst andere Zielgruppen anspricht, muss man sich auch hier nicht limitieren. Die Redaktion der SJ+ und Shueisha verlieren nicht viel dabei, wenn die Serie floppt und gehen das Risiko gerne ein, wenn dafür die Gelegenheit besteht, das neue Spy x Family zu entdecken. Zusätzlich profitieren Autoren dadurch, dass sie in einem Onlinemagazin nicht dem selben strikten Veröffentlichungsrhythmus ausgesetzt sind, wie das in Printmagazinen der Fall ist. Setzen sie in einem Printmagazin aus, müssen Dinge im Druck geändert werden und es entstehen Kosten. Setzen sie in einem Onlinemagazin aus, müssen sie das nur vor sich selbst und ihren Lesern verantworten.

Man sollte jetzt meinen, dass die offensichtliche Lösung für die WSJ wäre, auch einfach ein Onlinemagazin zu werden, aber mal abgesehen von den ganzen Implikationen wie Tradition, das Aufgeben bestehender Produktionslinien usw. gibt es da ja ein noch viel größeres Problem: Das gibt es schon. SJ+ ist genau das. Shōnen Jump Plus hostet ja bereits die WSJ-Kapitel und auch Serien anderer Magazine. Ein WSJ als Onlinemagazin wäre schlicht obsolet, wenn es SJ+ gibt. Was aber wird jetzt aus der WSJ und aus SJ+?

Die Zukunft und mutige Vorhersagen

Ich persönlich sehe keine Zukunft für die WSJ als dominantes Magazin im Manga-Markt. Printmagazine sterben aus und die inhärente Limitierung der Anzahl der Serien wird dem Magazin das Genick brechen. Währenddessen wird die SJ+ weiter Gold finden in dem Haufen an Scheiße, den sie an die Wand wirft, und früher oder später die Vormachtstellung übernehmen. Ich mache hier jetzt mal zwei „bold predictions“:

  1. Wenn die WSJ nicht bis zum Ende von Jujutsu Kaisen (also in spätestens 2-3 Jahren) eine Serie findet, die sich ähnlich gut verkauft, dann wird spätestens SJ+ ab dem Punkt das größere Magazin sein und
  2. Sollte sich der Abwärtstrend der Weekly Shōnen Jump weiter fortsetzen, wäre es ein schönes Ende für das Magazin, wenn die letzte (Print-)Ausgabe zusammen mit dem letzten Kapitel von One Piece veröffentlicht würde und das Magazin dann in die SJ+ überginge.

Die zweite „Vorhersage“ ist offensichtlich wesentlich mutiger als die Erste, aber da rechne ich auch selbst nicht mit, dass sie sich erfüllt. Ich halte es lediglich für eine schöne Möglichkeit, einen runden Abschluss zu finden und mit der Zeit zu gehen, sollten sich Auflagen- und Verkaufszahlen weiter verschlechtern. Momentan bin ich aber erstmal gespannt, wie sich die ganzen Neulinge in beiden Magazinen entwickeln. Ruri Dragon, Exorcist wo Otosenai, Marriagetoxin, Akane-banashi und wie sie nicht alle heißen.

Abschließende Worte

An dieser Stelle möchte ich mich einmal bedanken bei allen wunderbaren Menschen, die unsere Community regelmäßig mit Informationen versorgen. Seien es Verkaufszahlen, unbekannte Manga, Grafiken oder Datenbanken. Ihr leistet alle eine super Arbeit und ohne euch hätte ich das hier nicht in dieser Form schreiben können. Ihr seid klasse!

Ich habe das hier eigentlich nur geschrieben, weil ich es leid war, in Diskussionen die ewig gleichen Argumente zu hören und mich ständig wiederholen zu müssen, aber schlussendlich hat es doch ziemlich Spaß gemacht, das Ganze so ausführlich darzustellen. Ich möchte auch noch einmal klar betonen, dass ich persönlich kein Problem mit der Weekly Shōnen Jump habe. Ich lese einen Großteil der Titel aus dem Magazin seit Jahren regelmäßig und gerne und besitze deutsche Ausgaben einiger WSJ-Titel. Mir geht es lediglich darum, die momentane Situation im Jump-Kosmos aufzuzeigen und mehr Menschen zu informieren. 

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