Mit Clair Obscur: Expedition 33 veröffentlicht das junge französische Entwicklerstudio Sandfall Interactive am 24. April das vielleicht meisterwartete JRPG des Jahres.
Nun, JRPG mag vielleicht etwas übertrieben sein – allerdings haben Sandfall Interactive keinen Hehl daraus gemacht, große Fans von alten JRPGs wie Final Fantasy VII bis IX, Grandia und Co. zu sein. Diese Liebe spürt man auch in Clair Obscur: Expedition 33. Denn wie die Klassiker bedient sich das Spiel an Gameplay-Elementen, wie man sie aus Spielen dieser Ära kennt. Freibegehbare Weltkarte? Check. Ein Lager, in dem man Waffen aufwertet und sich mit den Teammitgliedern unterhält? Check. Verzwickte Dungeons? Check. Epische Soundtracks und noch epischere Zwischensequenzen? Absolut Check.
Ob sich hinter Clair Obscur DAS JRPG-Highlight 2025 versteckt, zeigt der Test.
Einmal im Jahr erwacht die Malerin und malt auf ihrem Monolithen. Sie malt ihre verfluchte Zahl. Und jeder in diesem Alter verwandelt sich in Rauch und verschwindet. Jahr für Jahr wird die Zahl kleiner und mehr von uns werden ausgelöscht. Morgen wird sie erwachen und „33“ malen. Und morgen brechen wir zu unserer letzten Mission auf. Zerstöre die Malerin, damit sie nie wieder den Tod malen kann.
Wir sind die Expedition 33.
(Synopsis via Steam)
„Der Morgen kommt.“
Den vielleicht größten Unterschied zu klassischen JRPGs findet man in der Story. Clair Obscur ist deutlich erwachsener – und das liegt nicht nur an der generellen Optik des Spiels. Die Charaktere sind bei Weitem nicht so überzeichnet, das Drama und die Dialoge im fünfköpfigen Team sind von Wortwitz durchzogen, und man merkt schnell: Es geht dem Ende des Zählers entgegen.
Das Ziel der 33. Expedition ist klar: Die Malerin besiegen – jene mysteriöse Figur, die eines Tages in Lumíere erschien und einen riesigen Zähler an einem Monolithen anbrachte. Dieser zählt einmal pro Jahr um eine Zahl herunter – und jede Person, die dieses Alter überschreitet, stirbt. Dieses Event nennen die Einwohner Gommage, und es markiert zugleich den Beginn der rund 30 Stunden umfassenden Kampagne. Denn als der Zähler von 34 auf 33 fällt, verschwinden neben der Geliebten vom Hauptcharakter Gustave alle Einwohner der Paris nachempfundenen Stadt Lumíere. Anschließend macht sich Gustave mit einer Gruppe von Erkundern auf den Weg, um diesen Zyklus zu durchbrechen. Sie sollen schaffen, woran 67 vorherige Expeditionen gescheitert sind.
Und natürlich geht das Ganze schief. Die Truppe wird von einem mächtigen Gegner überrascht und überrannt – und nun liegt es an Gustave und den restlichen Überlebenden, die schwierige Mission zu erfüllen.
Damit kommen wir auch zu einer der vielen Stärken von Clair Obscur: Expedition 33: die Geschichte. Wirkt sie anfangs noch etwas plump, wird man als Spielender nach und nach mit Info-Häppchen gefüttert, die dafür sorgen, dass man unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht. Denn die Welt von Expedition 33 ist ein wahres Mysterium: Wie endeten die vorherigen Expeditionen? Was sind die Gestral? Was hat es mit dem Kontinent auf sich, auf dem sich die Gruppe bewegt? Wie beendet man die Gommage?
Viele dieser Fragen bleiben zunächst unbeantwortet, werden aber im Laufe der rund 30 Stunden umfassenden Kampagne mithilfe von Tagebüchern und zahlreichen Zwischensequenzen aufgelöst. Ärgerlich ist jedoch, dass viele Antworten erst spät kommen – man muss also definitiv einen langen Atem haben, um das volle Potenzial der Story zu erleben.
Sehr schade ist allerdings, dass viele der Charaktere irgendwie … blass bleiben. Nicht nur wird man ohne große Einführung in die Welt von Expedition 33 geworfen, auch im weiteren Verlauf der Charakterentwicklung gibt es immer wieder Momente, in denen man sich denkt: „… irgendetwas fehlt.“ Diese Kritik soll aber wirklich nicht falsch verstanden werden, denn jede Figur im Team hat einen Hintergrund, eigene Ansichten, eine eigene Persönlichkeit – etwas, das vielen aufpolierten AAA-Produktionen im RPG-Segment oft fehlt. Diese Tiefe zeigt sich besonders in den Lagern, die man jederzeit aufbauen kann, um mit den Teammitgliedern zu sprechen. Sie haben viel zu erzählen – auch wenn man einiges zwischen den Zeilen lesen muss. Man bleibt gespannt und möchte wissen, wie es ausgeht – ja. Aber einen langfristigen Eindruck hinterlässt es nicht. Und das ist wirklich schade, denn Clair Obscur bietet so viel Wunderbares.
Klassisches Gameplay trifft auf Moderne
Und um das volle Potenzial dieser Geschichte zu entfalten, stehen euch mehrere Teammitglieder abseits von Gustave zur Verfügung. Zeit also, sich dem Kern des Spiels zu widmen: dem Gameplay.
Clair Obscur: Expedition 33 spielt sich in etwa so, als wäre Final Fantasy nie den actiongeladenen Weg gegangen, den die aktuelle Hauptreihe eingeschlagen hat. Euch erwartet beinahe klassisches, typisch rundenbasiertes Gameplay, wie man es im Westen vor allem aus Persona, Eiyuden Chronicle oder jüngst Metaphor: ReFantazio kennt – und lieben gelernt hat. In den nicht-zufälligen Kämpfen auf der Weltkarte oder in den linearen Dungeons erwarten euch packende Drei-gegen-drei-Gefechte gegen die feindlich gesinnten Wesen von Expedition 33.
Damit man den Gegnern nicht völlig schutzlos gegenübersteht, bietet das Spiel den fünf spielbaren Charakteren mehrere Angriffsmöglichkeiten. Neben einer klassischen Nahkampfattacke besitzt jede Spielfigur auch einen Fernkampfangriff. Während Nahkampfangriffe Angriffspunkte (AP) aufbauen, verbrauchen Fernangriffe diese. Auch die mächtigen Spezialfähigkeiten ziehen von diesem AP-Konto.
Jeder Charakter bringt eigene Eigenschaften und Fähigkeiten mit, die nur von ihm oder ihr eingesetzt werden können. So kann Gustave seine Attacken auf- bzw. überladen, während Maëlle, eine Meisterin im Degenkampf, zwischen drei verschiedenen Haltungen wechselt – je nachdem, ob sie Buffs austeilen, AP generieren oder sich besser verteidigen möchte.
Parieren geht über Studieren
Klingt das Ganze nach einem ganz typischen JRPG der alten Schule? Nun kommt der Twist, der die Kämpfe so spannend und spaßig macht: Ihr müsst bei vielen Fähigkeiten aktiv mitwirken.
Diverse Fertigkeiten verlangen Quick-Time-Events (QTEs), damit sie ihre volle Wirkung entfalten. Bei Angriffsattacken erhöht ein erfolgreiches Timing zum Beispiel den Schadensmultiplikator – bei unterstützenden Fähigkeiten kann es sogar bedeuten, dass nicht nur ein einzelnes Teammitglied, sondern gleich das komplette Dreiergespann geheilt wird.
Und keine Sorge: Verpasst ihr mal ein QTE, wird der Angriff oder die Heilung trotzdem ausgeführt – nur eben nicht mit voller Stärke.
Aber auch die Gegner haben diese Möglichkeit. Und hier kommt der nächste Punkt, wie Clair Obscur es geschafft hat, den klassischen Gameplay-Loop vieler Oldschool-JRPGs zu durchbrechen. Denn Expedition 33 gibt euch mehrere Optionen, gegnerischen Attacken entgegenzutreten. Neben dem klassischen „Schaden schlucken“ – was aber schnell zu einem Game Over führen kann – könnt ihr auf Knopfdruck ausweichen oder parieren. Der Unterschied? Ersteres lässt den Feindangriff komplett ins Leere laufen, während ihr bei letzterem nicht nur AP generiert, sondern dem Gegner auch Schaden zufügt. Dafür habt ihr allerdings ein deutlich kleineres Reaktionsfenster.
Und das Beste? Es bleibt nicht bei diesen beiden Möglichkeiten. Im Laufe der Geschichte kommen noch zwei weitere Pariermechaniken hinzu. Eine davon ist die sogenannte Gradient-Attacke. Diese aktiviert ihr am besten, wenn sich das Bild komplett in Schwarz-Weiß hüllt – sie ist eine Art Konter gegen Angriffe, die sich mit anderen Ausweich- oder Pariermethoden nicht abwehren lassen. Timing ist aber – wie bei allen Kontern – das absolute A und O.
Pictos, Luminas und Kombovielfalt
Später kommen noch Pictos und Luminas hinzu, mit denen sich die Fähigkeiten der einzelnen Figuren weiter verfeinern lassen. So könnt ihr aus Maëlle ohne Probleme eine feuerentfachende Degenmeisterin machen, die die Kameraden im Handumdrehen heilt. Oder ihr spezialisiert die vier-Elemente-bändigende Lune auf Debuffs. Oder, oder, oder. Das Kampfsystem belohnt alle, die sich reinarbeiten, mit vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten.
Ärgerliche Kleinigkeiten, die schwer wiegen
Und auch sonst bietet Clair Obscur viele Möglichkeiten, den Gegnern ordentlich eins auszuwischen. Neben klassischen Erstschlägen hat praktisch jeder Gegnertyp individuelle Schwächen und Resistenzen, wodurch ihr teilweise auch gezwungen seid, euer Team umzubauen. Es gibt sichtbare und weniger sichtbare Schwachstellen – was vor allem eines bedeutet: viel Trial & Error, besonders bei den Mini-Bossen. Aber auch reguläre, eigentlich schwache Einheiten können euch ohne Probleme besiegen, wenn ihr das Parieren und Ausweichen nicht beherrscht. Und das unabhängig von den drei Schwierigkeitsgraden.
Diese drei Schwierigkeitsgrade haben jedoch eines gemeinsam: das Fehlen einer Minimap. Denn auch wenn die Dungeons und die Welt einfach malerisch aussehen, gab es öfters Momente, in denen ich umhergeirrt bin, weil manche Karten so verschachtelt sind, dass es frustrierend wurde. Auch wenn das Erkunden mit neuen Waffen und Kleidungsstücken belohnt wird, würde eine Minimap vieles erleichtern – und Frust ersparen.
Ebenfalls störend war das teilweise nötige Backtracking bei den wenigen Nebenmissionen. Zwar sind diese immerhin erzählerisch wertvoll und man bleibt von klassischen Sammelquests verschont – da man aber nicht richtig schnellreisen kann, muss man viele Wege mehrfach gehen.
Musikalisch erstklassig
Aber ich bin Clair Obscur diese Ärgernisse absolut nicht böse. Denn selbst das Backtracking und die sich wiederholenden Kämpfe werden belohnt – mit einem der besten Videospielsoundtracks, die dieses Jahr erschienen sind. Jede Welt, jede noch so kleine emotionale Szene wurde von Lorien Testard perfekt eingefangen. Die Variation ist immens: von klassischer JRPG-Rockmusik bis hin zum Orchester – alles ist dabei. Unterstrichen wird das Ganze außerdem von einer erstklassigen englischen Sprachausgabe.


Pro
- Gelungene, emotionale Geschichte ...
- Wunderschön gestaltete Welt
- Gelungene Monsterdesigns
- Effektreiche Kämpfe
- Knackiger, aber nie frustrierender Schwierigkeitsgrad
- Mehrere Möglichkeiten, gegnerischen Attacken auszuweichen ...
- ... was extrem befriedigend ist
- Erzählerisch starke Bonding-Events
- Fünf spielbare Charaktere mit individuellen Fähigkeiten
- Mehrere Minispiele
- 30–35 Stunden umfassende Kampagne
- Großartige Musik und (englische) Synchronsprecher
- New Game+ möglich, viele Dungeons nach Storyende
- Keine Zufallsbegegnungen
Contra
- ... die Story kommt erst spät richtig in Fahrt
- Worldbuilding hätte Potenzial für mehr
- Einige Charaktere bleiben blass
- Kein richtiges Schnellreisesystem
- Starre Umgebung
- Dungeons teils unübersichtlich aufgebaut
- Fehlende Minimap
- Gegen Ende sich wiederholende Gegnerdesigns
- Teilweise zu knapp bemessenes Reaktionsfenster
- Keine deutsche Sprachausgabe
- Wenige Items