So schnell kann es gehen: Bis vor Kurzem habe ich noch nie etwas von Astlibra Revision gehört, nun gehört das Spiel nun zu meinen Game-Highlights 2022. Was den Titel so besonders macht und weshalb man unbedingt Astlibra Revision (an)spielen sollte, erfahrt ihr hier!
Ein langjähriges Herzensprojekt
Noch nie von Astlibra Revision gehört? Kein Problem, denn damit bist du nicht alleine. Auch ich habe bis vor Kurzem noch nie etwas von Astlibra oder Keizo, den Entwickelnden, gehört. Doch ein einzelner Tweet eines englischsprachigen Kollegen machte mich auf das Spiel neugierig.
Hinter Astlibra Revision verbirgt sich eine überarbeitete Version des Spieles Astlibra vom japanischen Büroangestellten und Entwickler Keizo. Dieser entschied sich 2007, ein Spiel in Eigenhand zu erschaffen. Das war die Geburtsstunde von Astlibra: Proof of Life. Er entwickelte das Spiel neben weiteren Projekten in seiner Freizeit, ehe er es 2021 fertigstellte und nach 15 Jahren in Japan veröffentlichte – komplett kostenlos und im Browser auf Japanisch spielbar.
Für Revision bekam Keizo unter anderem vom DX Libary-Entwickler Takumi Yamada Unterstützung, welcher das technische Grundgerüst verfeinerte. Mit Künstler Haku Tasufuchi sowie dem durch Vanillaware bekannten Zeichner Shigatake konnten durchaus bekannte Namen für neue Monster- sowie Charakterdesigns verpflichtet werden
Mit WhisperGames wurde zudem ein chinesischer Publisher ins Boot geholt, welcher das Spiel mit dem Untertitel Revision nach einjährigem Feinschliff auf Steam veröffentlichte. Die größten Unterschiede zur kostenlosen Ur-Version sind neben der hochauflösenden Grafiken ein Widescreen-Support, die Möglichkeit, Zwischensequenzen zu überspringen, ausgearbeitete Gameplay-Mechaniken sowie vieles mehr. Und auch inhaltlich wurde das Spiel erweitert.
Um was geht es eigentlich bei dem Titel? Bei Astlibra Revision handelt es sich um ein 2D-Action RPG, gepaart mit Sidescroller-Elementen.
Nachdem ein junger Mann auf der Flucht aus seiner Heimatstadt bei einem schrecklichen Dämonenangriff bewusstlos geworden ist, erwacht er getrennt von seiner Jugendfreundin in einer Welt, aus der alle Menschen verschwunden sind. Nur ein sprechender Vogel leistet ihm Gesellschaft. Das Aufspüren seiner vermissten Gefährtin und das Wiederfinden seiner Heimat wird keine leichte Aufgabe sein. Erlebe die Abenteuer dieses jungen Helden, der, von Zeit und Schicksal gebeutelt, zeigt, was es bedeutet, sich seinen Herausforderungen mit Mut und Güte zu stellen. (Offizielle Beschreibung der Homepage, aus dem Englischen übersetzt)
Disclaimer: Da ich meinen PC mehrmals aufsetzen musste, kann ich leider nicht so viele Screenshots anbieten wie gedacht.
Astlibras Ursprung merkt man an
Dass es sich bei Astlibra eigentlich um ein kostenloses Browser-RPG handelt, merkt man allen Ecken an, alsbald man nur den Trailer startet. Und auch beim Spielen gibt es durchaus Momente, bei denen man einfach nur fluchend das Spiel beenden möchte.
Der Schwierigkeitsgrad
Ich habe noch nie so viel wegen des Schwierigkeitsgrades geflucht. Direkt zu Beginn besteht die Möglichkeit, einen von insgesamt sechs Schwierigkeitsgraden auszuwählen. Während dem Spielen kann man fließend die Schwierigkeit um einen Punkt erhöhen beziehungsweise senken. Trotzdem sind es gerade die Platzierungen der Gegner im Feld und deren schiere Anzahl, die einen durchaus ins Schwitzen bringt. Wenn man stirbt, gibt es zwar fair platzierte Speicherpunkte – ein, zwei dieser Punkte sind aber gerade im späteren Spielverlauf sehr weit entfernt, was in Kombination mit der Mobanzahl frustriert. So wirft das Spiel später eine Vielzahl an Gegnern dem Spielenden entgegen; natürlich mit allerlei Fähigkeiten und Buffs.
Der japanische Grind
Keine Frage: Zu einem japanischen RPG gehört Grind irgendwie dazu. Und auch wenn viele der Ausrüstungsgegenstände eher optional sind, befasst man sich viel mit dem Bekämpfen der Monster. Astlibra ist eines dieser Spiele, die einem ermöglichen, Storyfortschritt unabhängig des Spielfigurenlevels zu erzielen. Dadurch kommt es vor, dass man komplett unterlevelt einem Bossgegner gegenüber steht und in Folge gehörig aufs Maul bekommt. Es ist also unabdingbar, vergangene Levelinstanzen immer wieder neu zu besuchen und dem befriedigenden Kampfsystem beizuwohnen und Monster bekämpfen.
Die kaum erklärten Rätsel
Astlibra Revision kommuniziert sehr wenig mit den Spielenden. Während die wenigen Rätsel, die einem begegnen, meistens selbsterklärend, gibt es des Öfteren Momente, die den Spielfluss verlangsamen und das Weiterkommen verhindern. Nicht selten fehlte es an einem entscheidenden Tipp. Man muss zum Beispiel an einer bestimmten Stelle im Spiel an einer Wache vorbei, die alte Dame des Dorfes gibt auch einen Tipp, wie man diesen Ritter außer Gefecht setzen kann – indem man ihn betäubt. Das Problem? Bis dato wurde im Spiel keinmal erwähnt, dass man Gegenstände kombinieren kann, um etwas Neues zu erschaffen. Genau das ist hier aber wichtig.
Durch solche Momente läuft man immer wieder bereits besuchte Orte noch einmal ab, um dann am Ende an einem offensichtlichen Lösungspunkt zu sitzen und sich zu denken: „Ach, echt jetzt?“
Übersetzungsprobleme störten ebenfalls
Ein weiterer Punkt, der anzusprechen ist: die Übersetzung. Auch vor dem Hintergrund eines Indie-Spiels muss gerade die Übersetzung passen, damit Spielende keine oder zumindest nur sehr wenige Probleme haben. Gerade hier hat Astlibra Revision aber Probleme. Einige Sätze sowie grundsätzliche Dialoge wirken oft unnatürlich hölzern oder passen nicht zu der eigentlichen Situation. Es würde mich daher nicht wundern, wenn Teile der englischen Übersetzung maschinell übersetzt worden wären. Das ist gerade bei so einem Spiel, welches praktisch nur aus Dialogkästen besteht, ärgerlich.
Dass einige Sätze im Dialog im Absatz verrutscht sind, kann man zwar verzeihen – schön ist aber anders. Allerdings wird zum Beispiel der Künstler sam-free, dessen Lied man im Spiel hören kann, in den Credits “some free music” genannt. Ups.
Trotz aller Kritikpunkte ein besonderes Spielerlebnis
Das sind aber im Vergleich kleine Kritikpunkte. Dem Spiel merkt man von Anfang an, dass es nicht nur ein Herzensprojekt ist. Nein, man merkt auch im Gameplay selbst, wie es mit der Zeit gegangen ist und Keizo sich nicht nur von den großen Titeln inspirierte, sondern auch eigene Ideen eingebracht hat. Es ist praktisch eine moderne Zeitkapsel einer Spiele-Ära, die es im Prinzip nur noch im Indie-Segment gibt.
Es fängt bei der Geschichte an, die zunächst generisch beginnt, dann aber im Laufe der 50 Stunden Spieldauer umfassenden Kampagne Ausmaße annimmt, die es sonst nur bei den großen Blockbustern gibt. Jedes Kapitel, welches stilecht mit einem (großartigen) Anime-Opening beginnt, bietet mehrere Stunden Unterhaltung, Langeweile gibt es kaum. Sicherlich bedienen sich die vorgestellten Charaktere oft den klassischen Stereotypen. Und ja, der Humor könnte an vielen Stellen aus einem 08/15-Ecchi-Titel stammen. Man muss sich allerdings immer wieder zu Gemüte führen, dass das Spiel in der Grundidee bereits vor 15 Jahren entstanden ist. Keizo es geschafft, den Figuren genügend Leben einzuhauchen, damit diese nicht verblassen.
Kampfsystem wirklich erst rudimentär, zeigt aber später Tiefe
Das Kampfsystem wirkt anfangs etwas unbeholfen und veraltet, aber man findet sich schnell rein, da viele Mechanismen auf durchaus interessante Weise miteinander verknüpft sind. Die Verwaltung der Attribute ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg in Astlibra, weil der Aufbau und zum Beispiel das Angriffstempo des Protagonisten durch diese Werte bestimmt werden. Im Spielverlauf ist es möglich, zahlreiche Builds zu erstellen, je nachdem, wie gut die eigenen Werte beim Stufenaufstieg verteilt werden. Dies hat glücklicherweise keine Auswirkungen auf das Spiel, da man die Ausrüstung des Protagonisten in jedem beliebigen Laden, den man findet, einfach neu anpassen kann.
Während einige Attribute für ein erfolgreiches Spielerlebnis unabdingbar, etwa das besagte Angriffstempo, sind, gibt es ein, zwei weitere Punkte, die man zwar aufleveln kann, aber nur einen geringen Nutzen haben.
Zum Kampfsystem gehört auch Karon, der Kompagnon des Protagonisten. Dank Karon gibt es eine Vielzahl passiver Fähigkeiten, die man durch das besagte Meistern der Ausrüstungsgegenstände (Waffe/Rüstung) erhalten kann. Diese Fähigkeiten können sich sowohl positiv als auch negativ auf den individuellen Spielstil auswirken. So gibt es zum Beispiel den „Berserker“, welcher Angriffe dreimal stärker macht – im Gegenzug aber die Verteidigung maximal absenkt, wodurch ein Treffer direkt tödlich für die eigene Figur wird.
Dann wären noch die „Possession“-Fähigkeiten, welche SP, Astlibras Mana, verbrauchen. Diese Zauber gibt es je nach Element, bis zu vier Stück können gemeistert werden. Sie variieren stark dabei von offensiven bis hin zu defensiven Angriffen.
Dann gibt es noch das LIBRA genannte Balancing-System, welches einer Waage ähnelt. Platziert man entsprechend Gegenstände, erhält man die Boni der Dinge, die man in die Waage gelegt hat.
Hält die Waage das Gleichgewicht, sind die Fähigkeiten anschließend am effektivsten. So sind sich ohne Probleme verschiedene Spielstile anzueignen: Will ich aktuell auf Goldgrind gehen? Steht bald ein Bosskampf bevor, brauche ich mehr Lebenspunkte? Mit dem im laufenden Spiel anpassbaren LIBRA-System ist das alles kein Problem.
Und wie spielt es sich nun?
Astlibra Revision ist ein 2D-Sidescroller mit Anleihen an alte The Legend of Zelda-Titel und Einschlägen von Ys. Im Kampf gegen Bosse mutiert das Spiel mitunter zu einer Bullethell – man ist oft am Ausweichen. Die Kämpfe sind nur dann erfolgreich, wenn den gegnerischen Attacken ausgewichen und mit halsbrecherischen Kampfkombinationen gekontert wird.
Schönes 2D trifft auch grandiose Musik
Keine Frage: Das Spiel sieht für seine Verhältnisse grandios aus. Komplett in 2D gehalten erwartet die Spielenden abwechslungsreiche Landschaften, verschiedenste Monster sowie animetypische Charakterdesigns. Gepaart mit den effektreichen Angriffen des namenlosen Hauptcharakters und den Gegnern, wird ein wahres Spektakel auf dem Bildschirm gezeichnet. Die Sprites der Spielfiguren sind ebenfalls ansehnlich gestaltet, wie man es von einem JRPG kennt.
Ein weiteres Highlight ist die musikalische Untermalung. Denn der komplette Soundtrack des Spiels besteht praktisch aus lizenzfreien Liedern verschiedenster Kunstschaffenden sowie Plattformen. Einerseits ist das schade, weil man wohl nie einen offiziellen Soundtrack hört, andererseits würde es ansonsten wohl nie solch eine musikalische Diversität geben. Es ist alles dabei – von elektronischer Tanzmusik (Dubstep!) bis hin zu Nihon-Falcom-typischen Musik und Rockhymnen … Astlibras Musik vereint viele Musikstile und Keizo schafft eine Auswahl, die bestimmt nicht so schnell langweilig wird.
Die gewählten Tracks sind dabei so prägnant, dass ich mich oft ertappt habe, bestimmte Orte nur wegen der Musik, und nicht wegen bestimmten Monstertypen, besucht zu haben.
Ansonsten gibt es zum Ton leider nicht viel zu berichten. Bis auf einzelnes Stöhnen bei Attacken oder anderen Inserts gibt es bei dem Spiel keine Sprachausgabe. Das Game bietet nur englische Untertitel.
Und was ist mit der Geschichte?
Ein Punkt, den ich nur zögernd angesprochen habe, ist die Story von Astlibra Revision. Lasst micheines sagen: Der Prolog, welcher auch als Demo auf Steam verfügbar ist, kratzt nur an der Oberfläche und vermittelt euch (vielleicht mit Absicht?) ein anderes Spiel. Denn mit fortschreitender Spielzeit entwickelt sich die Geschichte zu einem Konstrukt, das man so nie erwartet hätte. Dadurch kommt Spannung auf und man fragt sich, wie es weitergeht und alles aufgelöst wird.
Astlibra Revision bringt außerdem eine interessante Gameplay-Mechanik mit sich, welche sogar in der Geschichte selbst durchaus Sinn ergibt (Stichwort: New Game+). Nach dem eigentlichen Ende erscheint ein weiteres Kapitel, welches das Spiel storytechnisch mitsamt dem Gameplay auf eine neue Ebene hievt. Mehr möchte und sollte ich auch nicht erzählen, das würde schließlich einiges an Überraschung verderben.
Überraschend erstklassige Unterhaltung
Ich kann und muss mich wiederholen: Astlibra Revision kam aus dem Nichts und hat mich komplett in seinen Bann gezogen. Sei es nur das motivierende Gameplay mit Grind, der grandiose Soundtrack oder die Geschichte mit all den Wendungen und Ideen. Astlibra ist wahrlich ein Kleinod, das man mit der Zeit immer mehr lieben lernt – und dann ist man enttäuscht, dass es nach 50 Stunden schon vorbei ist.
Es hat klare Ecken und Kanten, bei denen ich absolut verstehen kann, dass das Spiel angespielt und danach nie wieder angefasst wird. Gerade die fehlende Lokalisierung ins Deutsche und der Gameplay-Loop können abschrecken. Auch bei mir hat es erst eine Weile gebraucht, bis es Klick gemacht hat – und dann habe ich jede einzelne Stunde, wenn auch fluchend, genossen. Ich gehe so weit zu sagen, dass Astlibra Revision für mich das beste Spiel 2022 war.
Man darf gespannt sein, ob der zweite Titel von Keizo, Magicus, ebenfalls seinen Weg in den Westen finden wird. Und natürlich, welche weiteren Spiele er aus dem Hut zaubern wird. Mit Astlibra Revision hat er in mir einen weiteren Fan gefunden!
Die Entwicklung dauerte 15 Jahre.
Keizo hat 15 Jahre lang das Spiel entwickelt.
15 Jahre
Die Antwort lautet 15 Jahre.
LG
Bis zur Sache mit der Story klang Astlibra so naja fand ich – aber eine Story, die clever Gameplay mit Geschichte verbindet, das spricht mich sehr an! Die 50 Stunden sind heutzutage eher abschreckend (ich verstehe das so, dass das _mit_ NG+/extra Kapitel usw. gemeint ist?), aber für eine gute Story mach’ ich so manches an Gameplay mit.
Insofern, „Wie lange hat Keizo am Spiel entwickelt?“
-> 2007 begonnen, 2021 fertiggestellt; 15 Jahre, wenn man das erste Jahr mit zählt.