Mushoku Tensei: Jobless Reincarnation kämpft sich momentan auf sämtlichen Voting-Seiten des Internets Platz um Platz nach oben. Dabei handelt es sich bei der Serie, wie der Titel impliziert, um einen Isekai. In diesem Gastbeitrag von Stammleser Noah erklärt er euch, woher der Erfolg kommt und was die Besonderheiten des Titels sind.
Neue Anime haben es oft schwer, gegen etablierte Titel anzukommen
Mushoku Tensei: Jobless Reincarnation hat viele Aspekte, die eigentlich gegen einen Erfolg sprechen. Zwar besitzt der Titel eine für TV-Serien sehr hohe Animationsqualität, zeichnet sich dafür aber durch eine sehr langsame Erzählstruktur und nur wenige Actionsequenzen aus. Trotzdem hat Mushoku Tensei: Jobless Reincarnation mit seinen fünf bisher ausgestrahlten Episoden wertungstechnisch etablierte Anime geschlagen, die bereits eine Fortsetzung erhalten haben. So befindet sich Mushoku Tensei nicht nur auf der Internetseite „Anime Trending“ auf Platz 2 der Charts, auch bei „Anime Corner“ konnte der neue Isekai sich mit 16,04% aller abgegebenen Stimmen behaupten. Geschlagen wurde er nur durch die finale Staffel von Attack on Titan.
Was also macht Mushoku Tensei so spannend und gut, dass er etablierte Publikumslieblinge wie That Time i Got Reincarnated as A Slime, The Promised Neverland, The Quintessential Quintuplets und Dr. Stone hinter sich lassen konnte?
Das Konzept hinter Mushoku Tensei: Jobless Reincarnation
Der wohl wichtigste Punkt ist hierbei Studio Bind, ein 2018 gegründetes Animationsstudio, welches für die Lead Animation von Mushoku Tensei zuständig ist. Es handelt sich bei Studio Bind um ein Joint Venture des Animationsstudios White Fox und der Produktions-, Planungs- und Verwaltungsgesellschaft Egg Firm. Studio Bind wurde speziell gegründet, um die Anime-Adaption von Mushoku Tensei zu produzieren.
Mushoku Tensei entstand, wie viele Isekai, zuerst als Web-Novel
Wie so viele Anime ist Mushoku Tensei ursprünglich ein Web-Novel. In Fankreisen heißt es oft, die Serie hätte den aktuellen Boom des Isekai (Reinkarnations)-Genres ausgelöst. Das Werk hatte enormen Einfluss auf einen Großteil der späteren Werke aus derselben Sparte und enthält viele der typischen Thematiken des Genres. Der Novel startete 2012 auf der japanischen Novel-Website Shōsetsuka ni Narō, wo Amateur-Autoren die Möglichkeit haben, eigene Geschichten zu veröffentlichen. Dort lief Mushoku Tensei drei Jahre lang mit insgesamt 25 digitalen Bänden. In dieser Zeit erreichte Mushoku Tensei einen sonst kaum gesehenen Erfolg und dominierte die Seite jahrelang als die Nr. 1. . Selbst heute, fünf Jahre nach Ende der Online-Version des Novels, befindet sich Mushoku Tensei in der „Top 5 Novel“-Kategorie von Syosetsu, und übertrumpft damit sogar bekannte und beliebte Titel wie Re:Zero und Overlord, welche nach wie vor nicht abgeschlossen sind.
Das Isekai-Genre: Fluch und Segen zugleich
Was macht Mushoku Tensei also so gut, dass eine längst abgeschlossene Novel immer noch so viel Einfluss auf ein einzelnes Genre für sich behaupten kann und man extra ein eigenes Studio zur Produktion des Anime gegründet hat?
Wieso Mushoku Tensei so beliebt ist
Es gibt zwei Hauptgründe, die aus meiner Sicht die Beliebtheit von Mushoku Tensei erklären:
- Charakterentwicklung. Während der Protagonist Rudeus als nervige Person
mit nur wenigen guten Eigenschaften beginnt, wächst er im Laufe der Geschichte
charakterlich immer mehr und mehr und wirft die Fesseln seiner Probleme der
Vergangenheit ab. - Eine komplex strukturierte und sich lebendig anfühlende Welt, die gut aufgebaut ist und die (zumindest scheinbar) vom Autor von Anfang an vollkommen durchgeplant wurde.
Charakterentwicklung in Mushoku Tensei
Mushoku Tensei hat eine realistische Hauptfigur. Die meisten Isekai verwenden einen simplen Otaku, welcher in eine andere Welt versetzt wurde und dabei charakterlich einfach plötzlich zum perfekten Mustermenschen mutiert. Rudeus verwendet das Otaku-Schema allerdings nur in den inneren Monologen zur Selbstreflektion.
Das dient meistens nur zur selbstprojektion, das auf einem Minimum an menschlichem Anstand funktioniert. Und dennoch geben die Charaktere, die innerhalb der Geschichten erscheinen, alles, um die Aufmerksamkeit des Hauptprotagonisten zu gewinnen.
Rudeus ist dagegen zu Beginn der Geschichte regelrechter menschlicher Abfall. Er ist unsympathisch und egoistisch. Die Geschichte hat keine Angst davor, dies zu zeigen und verwendet gerade das, um seine Entwicklung umso eindrücklicher zu machen. Rudeus‘ Geschichte ist deshalb so gut geschrieben, weil man merkt, dass er nur ein weiteres Wesen in der Welt ist, mehr nicht. Es dreht sich nicht immer alles um Rudeus.
Relevant ist auch, dass Rudeus sein neues Leben, im Gegensatz zu vielen heutigen Isekai, mit keiner überpowerten Cheat-Fähigkeit beginnt. Er ist ein normaler Junge in einer großen Welt. Verstärkt durch seine (schlechten) Erinnerungen an sein früheres Leben wächst er immer mehr über sich selbst hinaus.
Natürlich gibt es gerade im späteren Storyverlauf Momente und Situationen, in denen er übermächtig ist. Bis dahin wird er aber viele Misserfolge erleben. Rudeus ist ein normaler Mensch in dieser neuen Welt, mit schlechten und guten Eigenschaften. Er gibt sich selbst das Ziel, ein besserer Mensch zu werden.
Deswegen wird die Geschichte um Rudeus nie langweilig. Jeder Nebencharakter bekommt seine eigene Entwicklung und eigene Relevanz in der Geschichte. Dabei fühlt sich jede dieser Lebensgeschichten dreidimensional an und gibt den einzelnen Charakteren Tiefe.
Niemand ist unwichtig
Jeder Charakter in Mushoku Tensei hat eine relevante Rolle in der Welt und ist wichtig für spätere Ereignisse. Nichts fühlt sich überflüssig an. Im Vergleich zu vielen Isekai-Geschichten mit den oberflächlichsten Charakteren oder hyperaktive Protagonisten hat Mushoku Tensei Standards in Sachen Charaktertiefe gesetzt.
Mushoku Tensei zeigt eine große Vielfalt an Charakteren, die allesamt im Kopf bleiben. Jeder besitzt seinen eigenen Willen und es gibt praktisch niemanden, der dem Hauptcharakter hinterherlaufen möchte, um eine Art Sklave für ihn zu werden. Interessant ist auch der Fakt, dass es sich um eine abgeschlossene Geschichte handelt. Nicht in der Hinsicht, dass das Buch fertig ist, sondern dass Rudys Geschichte eine abgeschlossene ist. Die Geschichte behandelt wortwörtlich das gesamte Leben von Rudeus, von Anfang bis Ende.
Man kann die Geschichte in drei Abschnitte aufteilen:
Zweite Chance
Ja, der unbekannte Protagonist ist am Anfang abstoßend. Aber Mushoku Tensei ist keine Geschichte über einen perfekten Menschen. Es geht um einen Menschen, der sein Leben nicht so gelebt hat, wie er oder andere es sich gewünscht hätten. Seine Wiedergeburt ist seine zweite Chance im Leben. Sein Ziel ist es, ein Leben zu führen, auf das er stolz sein kann. Dieses Gefühl, besser im Leben sein zu wollen, kann jeder nachvollziehen. Dadurch wird ein Interesse beim Leser/Animeschauer geweckt.
Die Heranwachsende Zeit
Sein erstes Leben war verdorben. Bei seiner zweiten Chance sehen wir jedoch, wie er vom Kind zum Erwachsenen wächst und effektiv an sich arbeitet. Er stößt auf viele Probleme und Aufgaben in der neuen Welt. Die Entscheidungen und Aussagen, die er trifft, sind anfangs merkwürdig, ändern sich aber zum Besseren. Dadurch wird er auch sympathischer.
Lebensgeschichte
Mushoku Tensei ist kein Abschnitt im Leben des Protagonisten. Es ist eine Geschichte über sein Leben von der Geburt bis zum Erwachsenenalter. Es gibt viele verschiedene Kapitel, die unterschiedliche Geschehnisse mit sich bringen. Manchmal gibt es Slice of Life, während Rudeus gerade die neue Welt kennenlernt. Dann das Drama in Bezug auf seine Familie. Action mit tatsächlicher Spannung und Lebensgefahr für alle Protagonisten. Und natürlich darf auch Romantik nicht fehlen. Geschichten bestehen selten aus nur einem Genre, aber genauso selten sind Geschichten mit einer solchen Vielzahl von Genres. Mushoku Tensei ist kein Geschichtenabschnitt aus einem Teil des Lebens des Protagonisten, sondern das Leben des Protagonisten selbst. Und das macht die Geschichte so spannend und interessant.
Der nächste Punkt wäre die Welt von Mushoku Tensei: Jobless Reincarnation.
Die Welt von Mushoku Tensei
Die besten Geschichten bzw. diejenigen, die oft am meisten wertgeschätzt werden, sind Geschichten, in denen nicht nur der Protagonist ausgearbeitet ist und seine eigene Geschichte verfolgt, sondern auch Nebencharaktere oder anderweitige Personen in der Welt ihre eigene Geschichte und ihr eigenes Leben besitzen. Man sieht zu, wie sich nicht nur die Geschichte selbst, sondern auch die Charaktere entwickeln.
Ein wesentlicher Faktor dafür ist die Welt, in der sich die Charaktere befinden. Diese erforschen die Welt und erkunden verschiedene Länder und merken, dass die Welt sich auch ohne sie weiterdrehen würde. Dabei ist jeder Flecken Erde bedeutsam, so dass Abwechslung herrschen muss. Besonders Fantasy-Welten können hier besonders viel Potenzial entfalten, da in solchen Universen praktisch alles anders sein kann und selbst die trivialsten Dinge im Alltag spannend zu erforschen sein können, weil sie in der Realität nicht in dieser Form existieren. Mushoku Tensei sticht im Isekai-Genre besonders stark in diesem Bereich heraus. Worldbuilding, d.h. die Erschaffung und Ausarbeitung einer imaginären Welt, ist eine sehr komplexe Aufgabe. Das liegt daran, dass ein Autor jedes Detail einer Welt von Grund auf neu ausarbeitet: Geographie, Geschichte, Sprache, Überlieferungen, Charaktere, soziale Bräuche, Politik, Religion …
Wie Worldbuilding funktioniert, erfahrt ihr hier
Wo treffen Realität und Fantasie aufeinander?
In Mushoku Tensei werden Bräuche, Berufe, Erfahrungen und Einstellungen konstant mit der alten Welt von Rudeus verglichen. Dadurch macht Rudeus Fehler, die aus den Unterschieden zwischen den beiden Welten und auch zwischen den verschiedenen Ländern und Kulturen der neuen Welt resultieren. Oft werden dabei auch Fragen aufgeworfen. Beispielsweise wird in der zweiten Folge des Anime die magische Universität von Ranoa erwähnt, die in Folge 4 dann relevanter für die Story wird. Deutlich später in der Geschichte ist diese dann der wichtigste Ort der gesamten Geschichte. Die Welt in Mushoku Tensei ist so interessant, weil man so viel über sie erfährt. Orte in der Geschichte sind nicht nur einfach ein Mittel, um die Geschichte und die Erlebnisse des Protagonisten voranzutreiben, sie fühlen sich real an und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Städten, Ländern, Gefahren und Bräuche der Welt zu erkunden fühlt sich beim Lesen/Anschauen des Werks genauso an, als würde man selbst mehr über diese Welt erfahren.
Damit aber nicht genug, denn jedes Land in Mushoku Tensei hat eine ganz eigene Geographie und ein eigenes Klima, und die Politik ändert sich von Land zu Land ebenfalls. So wird der sogenannte Demon Continent von einem Dämonenfürsten geleitet, und die einzelnen Städte sind großteils auf sich alleine gestellt. Das Ursprungsland von Millis wird religiös geführt und das Königreich Asura ist eine durch interne Machtkämpfe zerrüttete Monarchie.
Eine Reise, die man jedem Fantasy-Fan empfehlen kann
So ist es wahrscheinlich die Welt, die Mushoku Tensei so erfolgreich und konstant spannend gemacht hat. Mit Rudeus, einem Hauptcharakter, der eine spürbare Entwicklung durchlebt, lernen wir viele neue Freunde und Feinde kennen. Erkunden neue Kulturen und erforschen Dinge, die bis zu den Fundamenten dieser neuer Welt reichen. Man darf also gespannt sein, welche Abenteuer Rudeus noch erleben wird.