Wie ein Deutscher den japanischen Fußball modernisierte

Aktuell läuft bei Crunchyroll im Simulcast das Fußballdrama Farewell, My Dear Cramer vom Schöpfer von Your Lie in April. Doch dass sich hinter dem Namen Cramer ein deutscher Spieler und Berater verbirgt, ist vielen nicht bekannt. Er modernisierte den japanischen Fußball und begleitete zugleich eine der erfolgreichsten Phasen in der Geschichte des Landes. Dies ist eine historische Rückschau auf den Fußball in Japan und einen besonderen Menschen.

Japans erster Kontakt mit Fußball

Den ersten Kontakt mit Fußball hatten japanische Militärkadetten unter der Leitung des britischen Lieutenant-Commander Archibald Lucius Douglar im Jahr 1873. Douglar war von 1873 bis 1875 als ausländischer Berater für die japanische Marine in Tsukiji, Tokyo tätig.

Während des Ersten Weltkriegs gab es ein Kriegsgefangenenlager vor Hiroshima, in dem die ersten Fußballspiele zwischen deutschen Kriegsgefangenen und japanischen Studenten organisiert wurden.

Der erste japanische Fußballverein gilt als Tokyo Shukyu-dan aus dem Jahr 1917. Ein Vereinswesen wie in Deutschland wurde jedoch erst viel später etabliert. Insbesondere in der Anfangszeit war Fußball vor allem für regionale Turniere zwischen Universitätsmannschaften bekannt. Erst 1921 wurde mit der Gründung des Japan Football Association (JFA) ein Verband geschaffen, der 1929 in die FIFA aufgenommen wurde. Dadurch wurde zwar eine Grundstruktur geschaffen und es wurde an offiziellen Turnieren wie den Olympischen Spielen 1936 und 1956 teilgenommen. Während Japan 1936 noch das Viertelfinale in Berlin erreichte, schied das Land 1956 in Vancouver bereits in der ersten KO-Runde aus.

Etablierung einer Liga

Der klassische Vereinsfußball dagegen fand seinen Ursprung infolge der japanischen Unternehmenskultur. Gerade in der Nachkriegszeit und dem anschließenden wirtschaftlichen Aufstieg Japans boten viele Unternehmen ihren Mitarbeitern sportliche Aktivitäten zur Gesundheitspflege an.

Um den Wettbewerbsgedanken zu fördern, wurde mit der Gründung der JFA auch der heutige Kaiserpokal etabliert. Zunächst als nationales Finale des japanischen Fußballverbands eingeführt, erhielt das Turnier den kaiserlichen Titel erst in der Nachkriegszeit, gilt aber weiterhin als eines der ältesten Fußballturniere Asiens. An einen Ligabetrieb war bis 1947 nicht zu denken. Erst 1948 wurde die All Japan Works Football Championship (AJWFC) eingeführt, die allerdings den Firmenmannschaften vorbehalten war. Anschließend wurde 1955 die All Japan Inter-City Football Championship (AJICFC) geschaffen. Sie war eine Art Städteliga, an der alle Fußballteams einer Stadt teilnehmen durften.

Dettmar Cramers erste Schritte in Japan

Währenddessen beschloss die JFA-Führung unter Jujiro Narita und Ken Notsu, ausländische Berater zu verpflichten. Damit wollte man gerade im Hinblick auf die Olympischen Spiele 1964 in Tokio das Spielniveau erhöhen und eine Blamage im eigenen Land vermeiden. So wurde 1960 der Deutsche Dettmar Cramer als Japans Technischer Direktor installiert. Cramer war zuvor unter anderem als Cheftrainer des Westdeutschen Fußball-Verbandes in Duisburg und Trainer des BV Bad Lippspringe tätig gewesen.

Cramer hatte trotz eines unzureichenden Trainingsgeländes an der Universität Tokio bei der Vorstellung des Teams sofort Trainingsanweisungen und -tipps gegeben. Damit bekamen Japans Nationalspieler auf einem unebenen Boden Wissen zugeteilt, das im Westen Deutschlands zum Standard gehörte. Dabei handelte es sich um Dinge wie das Zuspielen des Balls an einen Mitspieler, das Abfangen eines hohen Balles oder den Einsatz des Außenrists.

Auch wenn Cramer in Japan für seine Trainingsmethoden durchaus Kritik bekam, gelang dank ihm bei den Olympischen Spielen 1964 ein Achtungserfolg: Durch einen 2:3 Sieg gegen eine Jugendauswahl Argentiniens musste man sich erst im Viertelfinale gegen die damalige Tschechoslowakei mit einer 4:0 Niederlage aus dem Turnier verabschieden.

Aufbau des Fußballs in Japan

Anschließend stellte Cramer der JFA mehrere Vorschläge vor, um das Land fußballerisch für die Zukunft zu rüsten:

  • Die Etablierung einer Fußballliga mit verschiedenen Mannschaften, wobei er sich von der deutschen Bundesliga inspirieren ließ.
  • Einrichtung eines Trainersystems, bei dem immer zwei Trainer eine Mannschaft leiten sollten, egal ob in der Oberschule oder Nationalmannschaft.
  • Die Nationalmannschaft sollte einmal im Jahr nach Europa reisen, um gegen stärkere Mannschaften Erfahrung zu sammeln.
  • Es sollten mehr und bessere Fußballfelder gebaut werden.
  • Viele japanische Trainer sollten zu Ausbildungszwecken nach Deutschland geschickt werden.

1965 wurde die erste nationale Ligastruktur des japanischen Fußballverbands (JFA) gegründet. Die Japan Soccer League (JSL) ersetzte die zwei in den Jahren zuvor etablierten Ligensysteme.

Das Teilnehmerfeld der JSL bestand aus Mannschaften japanischer Großkonzerne wie Mazda, Mitsubishi, Nissan und Yamaha. Der Plan, auch Universitätsmannschaften aufzunehmen, die in den Jahrzehnten zuvor die besten Fußballer des Landes produziert hatten, konnte nicht umgesetzt werden, da die Spielpläne der Unis wenig Möglichkeiten boten, an einem Ligabetrieb teilzunehmen. Doch die Universitätsmannschaften hatten auch im Kaiserpokal immer häufiger das Nachsehen gegenüber den Werksteams aus der JSL. Nicht zuletzt profitierte die japanische Nationalmannschaft von der Strukturierung des Spielbetriebs.

Olympia 1968 – der größte Erfolg der „Samurai Blue“

Der Aufwand trug bei Olympia 1968 in Mexiko-Stadt die ersten Früchte. Die japanische Auswahl mit Ken Naganuma als Trainer und Dettmar Cramer in beratender Funktion trotzte der spanischen und brasilianischen Mannschaft je ein Unentschieden ab und besiegte Nigeria mit 3:1. Anschließend besiegte sie Frankreich mit 3:1, ehe Ungarn im Halbfinale mit 5:0 siegte. Beim Spiel um Platz 3 gegen Gastgeber Mexiko gewann Japan 2:0 und sicherte sich damit Platz drei und somit die Bronzemedaille.

Euphorisiert durch den Erfolg gab man ausländischen Spielern die Möglichkeit, in Japan professionell Fußball zu spielen. Obwohl viele ausländische Spieler (vorrangig Brasilianer) zum Fußballspielen nach Japan kamen, sah die Realität für japanische Fußballspieler anders aus: Sie mussten eine Balance zwischen ihrem normalen Beruf und dem Fußball finden. Eine offizielle Regelung, die den Beruf des Profi-Spielers überhaupt ermöglichte, wurde erst in den späten 80er Jahren getroffen. Bis dahin war die Verpflichtung von sogenannten Profi-Spielern ein offenes Geheimnis der Liga.

Weitere Grundsteine werden gelegt

Yasuhiko Okudera war der erste Japaner, der diese Regel brach. Im Jahr 1977, im Alter von 25 Jahren, wechselte er zum 1. FC Köln und wurde damit der erste japanische Profispieler im Ausland.

Die Erfolge des japanischen Fußballs führten dazu, dass die japanische Liga erstmals für ausländische Spieler geöffnet wurde. Während die meisten dieser Spieler aus Brasilien kamen, um nur Fußball zu spielen, mussten ihre japanischen Mitspieler tagsüber ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen. Eine Ausnahme in dieser Zeit war Yasuhiko Okudera, der 1977 als erster japanischer Profispieler ins Ausland ging. Er blieb bis 1986 in Deutschland.

Kazuyoshi Miura – der echte Tsubasa Ohzora

Zeitgleich unterzeichnete eine weitere wichtige Figur seinen ersten Profivertrag in Brasilien. Kazuyoshi Miura verließ die High School, um beim Erstligisten FC Santos Profifußballer zu werden. Miura, inzwischen bekannt unter seinem Spitznamen „King Kazu“, gilt unter anderem als Vorlage für den in Deutschland beliebten Captain Tsubasa-Manga, dessen Anime-Fassung als Die tollen Fußballstar“ zur Hochzeit der RTL2-Anime-Ära im Fernsehen ausgestrahlt wurde.

Cramer kehrte immer wieder nach Japan zurück

Und was ist mit Cramer? Obwohl er den Vertrag als technischer Berater der japanischen Nationalmannschaft aufgelöst hatte, reiste er regelmäßig für verschiedene Tätigkeiten nach Japan, um die Förderung des Fußballs voranzutreiben. So war er 1969 der erste Direktor der ersten Trainerschule in Chiba und war 1988 Lehrer an der FIFA Jugendakademie in Ibaraki.

Seine weiteren Stationen im Profifußball nach dem Bronzegewinn der japanischen Olympiamannschaften waren unter anderem als Nationaltrainer in Ägypten (1971-1974), als Trainer beim FC Bayern München (1975 bis 1977) und Eintracht Frankfurt (1977-1978) sowie in Saudi-Arabien (1978-1980). Seine letzte Station war die des Nationaltrainers in Thailand im Jahr 1997.

Seitdem wird er in Japan „Vater des modernen Fußballs“ genannt und war 2005 eine der ersten Personen, die in die Ruhmeshalle des japanischen Fußballs aufgenommen wurden. Auch bekam er von Kaiser Hirohito 1968 den höchsten Kulturorden für seine Verdienste bei den Olympischen Spielen. Unter seiner Regie gab es allerdings auch Negativrekorde, wie zum Beispiel 11 Pflichtspielniederlagen der Samurai Blue am Stück.

Dettmar Cramer verstarb im September 2015 in Deutschland.

Und damit schließt sich der Kreis. Seit Mai 2016 veröffentlicht Naoshi Arakawa den Manga Farewell, My Dear Cramer, der sich namentlich auf Dettmar Cramer bezieht. Als Fortsetzung zum ersten Fußball-Manga von Arakawa, Sayonara, Football gedacht, befasst sich Farewell, My Dear Cramer mit dem japanischen Frauenfußball. Während Sayonara, Football mit zwei Bänden abgeschlossen ist, gibt es von Farewell, My Dear Cramer 13. Die Anime-Adaption läuft derzeit auf Crunchyroll.

Wer dennoch nicht genug von Fußball in Anime und Manga hat, dem kann ich folgende Titel empfehlen:

Titel Länge Streambar? Story
Giant Killing
  • 26 Anime-Episoden
  • 57 Manga-Bände, laufend
Den Anime kann man auf Crunchyroll US schauen, der Manga wird digital über Kodansha US angeboten Ehemaliger Starspieler kehrt als Trainer zum Jugendverein zurück und hilft ihm auf die Erfolgsspur
Blue Lock
  • 13 Manga-Bände, laufend
In Deutschland von Kazé lizenziert Fußball trifft Survival- und Mind-Game eines jungen japanischen Talentes

 

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