Mit Heroes erschien im August 2023 ein Fantasy-Einzelband im Hamburger Verlag TOKYOPOP. In der folgender Analyse gehe ich genauer auf den durchaus unüblichen Titel von Inio Asano ein.
(K)ein Fantasy
Über einen Zeitraum von drei Jahren (2015 bis 2018) geschrieben, erschien das Taschenbuch 2020 in Japan. Der Einzelband gehört dabei zu den eher unbekannten Werken von Mangaka Inio Asano, welcher vor allem für Reihen wie Gute Nacht, Punpun und Dead Demon’s Dededede Destruction sowie die Kurzgeschichten Solanin und What a Wonderful World bekannt ist. Und mit Blick auf die dem Werk zugrundeliegende Prämisse scheint es auch keinesfalls allzu verwunderlich, dass Heroes kein Verkaufsschlager ist beziehungsweise wird.
Eine dunkle Macht – Finsternis genannt – benebelt den Verstand von Menschen und Monstern und beschwört das Chaos herauf. Tapfer stellt sich eine ungewöhnliche Heldentruppe der Gefahr. Doch immer, wenn diese gebannt scheint, wartet schon die nächste Herausforderung auf sie. Schnell lernt die Gruppe eins: Wer der Gefahr ins Auge sieht, blickt dabei nicht selten in das Gesicht eines Freundes …
Denn: Wer hier einen storylastigen Einzelband erwartet, wird aus vielerlei Gründen sehr enttäuscht werden. Obwohl Inio Asano ein Setting im Bereich Fantasy gewählt hat, ist hier kein klassisches Abenteuer zu erwarten.
Achtung, Spoilerwarnung: Ich gehe in diesem Text auf einzelne Kapitel des Einzelbands ein.
Ein Spiegel der Gesellschaft
Zudem sind keine autobiographischen Elemente gegeben, wie sie etwa in Die Zeit am Abgrund im Vordergrund stehen, in dem der Autor seine persönlichen Erlebnisse als Mangaka verarbeitet hat. Heroes ist stattdessen seine Ansicht der Dinge, wenn es um (die Debatte über) gesellschaftliche Themen geht.
Heroes lässt sich am ehesten mit der heutigen Diskussionskultur im Internet vergleichen. Inio Asano verwendet dabei klare Parallelen:
Der gesamte Manga wurde um die heutige Gesellschaft herum konzipiert. So ist die eigentliche Heldentruppe vor allem eines: sehr laut, wenn es um ihre individuellen Ansicht(en) geht. Ähnlich wie in der gegenwärtigen Debattenkultur auf Facebook, Twitter (ich weigere mich aktiv, es X zu nennen) oder Discord, gibt es in Heroes Pseudonyme: Die Namen der einzelnen Charaktere sind Spitznamen, ihre optische Darstellung entsprechen etwa Avataren oder Profilbildern. Letztere ist das primäre Fantasy-Merkmal des Einzelbands.
„Reden wir nicht länger über Gerechtigkeit. Uns sollte vielmehr die Frage beschäftigen, wie wir den Feind bezwingen“
Wie das Ganze nun funktioniert, ist bereits anhand des ersten Kapitels zu erkennen. Dort ist vor allem eine Figur der Heldentruppe im Fokus: der König der Fliegen. Dieser verliert nach einem Kampf gegen die Dunkelheit seine Heimat. Und damit beginnt die erste von vielen Diskussionen innerhalb des Manga.
Der Herr der Fliegen bezeichnet sich selbst als einen nicht angenehmen Charakter, er ist dreckig und stinkt. Gerade deshalb will keiner seiner Freunde der Heldentruppe ihn im eigenen Zuhause aufnehmen. Als Yayawani dann doch einverstanden ist, ihm Unterkunft zu gewähren, kommt eine weitere Charaktereigenschaft seiner Person ans Licht. Yayawani hat ein Sprachproblem und nuschelt sehr. Anstatt also die freundliche Geste anzunehmen, lehnt der heimatlose Herr der Fliegen dankend ab.
Anschließend stellt sich mit Sambaizu eine weitere Figur aus der Heldentruppe auf die Seite des Fliegenkönigs. Er bezichtigt den Rest der Gruppe der Feigheit und wirft ihnen mangelnden Respekt vor. Nachdem daraufhin der Fliegenkönig fragt, ob Sambaizu ihn aufnehmen könne, kommt es zum plötzlichen Kontaktabbruch; Sambaizu schweigt und pfeift.
Das verärgert den König der Fliegen. Er tötet Sambaizu. Und die Reaktion der anderen? Sie alle rechtfertigen die Tat des Fliegenkönigs als unbeabsichtigt, fangen darüber hinaus an, Sambaizu schlechtzureden. Er sei unerträglich, lästig und mehr gewesen. Genau hier kommt das obige Zitat ins Spiel: Die Wahrnehmung von Gerechtigkeit ändert sich je nach Person – und wird vor allem durch Bedürfnisse und Interessen der Einzelnen bestimmt.
An dieser Stelle schließt sich wieder der Kreis zur Diskussionskultur im Internet: Nur dort kann man, je nachdem, welche Menschen diskutieren, Zeuge eines solchen Zynismus werden.
Zum Schluss wird der Fliegenkönig Opfer der Dunkelheit, da er sowohl über seine eigenen Taten als auch über die Reaktion der anderen aus der Heldengruppe entsetzt ist.
Jedes Kapitel (k)eine Geschichte
Solche mehr oder weniger subtilen Andeutungen ziehen sich durch den kompletten Einzelband. Im zweiten Kapitel geht es beispielsweise um die Rolle eines Journalisten, der einerseits über die Wahrheit berichten möchte, sich aber andererseits wegen der Gesellschaft gezwungen sieht, aufmerksamkeitsstarke Artikel zu verfassen. Ein anderes Kapitel beschäftigt sich mit Yamato, einem Abbild eines typischen japanischen Jungen, welcher nur der Schönheit hinterherläuft und denkt, es sei Liebe.
All das konkludiert mit dem fünften und insbesondere dem sechsten Kapitel. Mit der Einführung einer neuen Heldengruppe zeigt Heroes seine wahre Gestalt. Die neue Truppe ist dabei weder fantasy-like noch versteckt sie sich hinter Pseudonymen. Es sind normale Menschen mit regulären Namen. Schließlich kommt es, wie es kommen musste: Nachdem erneut die Dunkelheit besiegt wurde, ist die Heldentruppe auf dem Weg in die Heimat. Allerdings überschattet eine lebhafte Diskussion alles. Es geht um Sexismus, Frauenrechte und vieles mehr. Themen, die in Anbetracht von Nachrichten um (mutmaßlichen) Machtmissbrauch in der Musik- und Unterhaltungsindustrie auch 2023 wohl kaum aktueller sein könnten. Beide Parteien betrachten sich im Recht und versuchen demnach, einander ihre jeweils eigene Sichtweise aufzuzwingen.
Mangaka Inio Asao möchte mit Heroes also keine Heldengeschichte im traditionellen Verständnis erzählen. Er möchte dem Leser vielmehr ein Spiegelbild der Gesellschaft vorhalten; egal ob diese im Internet oder in der realen Lebenswirklichkeit stattfindet. Im Endeffekt wird gefragt: „Wie kommst du darauf, dass du die Weisheit besitzt, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden?“
Inio Asano Heroes erschien im August 2023 zum Preis von 16,00 € bei TOKYOPOP als Großformat in Vollfarbe.