Neue religiöse Bewegungen und ihr Einfluss in Japan

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Befasst man sich abseits von Anime und Manga mit Japan, kommt man schnell zu einem großen Teilbereich der dortigen Kultur: der Religion. Japan bietet eine Vielzahl an Religionen und Überzeugungen, bei denen man schnell durcheinanderkommen kann. Mit diesem Beitrag möchte ich euch einen Überblick verschaffen, was denn die sogenannten neuen Religionen bzw. die neue religiöse Bewegung in Japan ausmacht und welche Unterschiede untereinander existieren.

Dieser Beitrag ist der erste von drei Artikeln, die sich mit den neuen Religionen in Japan beschäftigen. Der nächste Artikel wird sich mit der Werbung der Bewegung befassen, die heute über die Popkultur betrieben wird, gefolgt von einem Interview mit dem landeskirchlichen Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Herrn Dr. Pöhlmann.

Neue Religionen in Japan – eine Aufklärung

In Japan gibt es viele neue religiöse Bewegungen. Etwa jeder siebte Einwohner (ca. 9,5 Millionen) ist Mitglied einer solchen Gruppierung. Die Bewegungen, zusammengefasst unter dem Begriff Shinshūkyō, existieren seit Mitte des 19. Jahrhunderts und es gibt mittlerweile über 300 Organisationen in Japan. Der Begriff lässt sich schlicht mit „neue Religion“ übersetzen und umfasst sämtliche Bewegungen in Japan, die sich nicht dem Buddhismus oder dem Schrein-Shintô zuordnen lassen.

Viele dieser Bewegungen entstanden durch die japanische Modernisierung, die 1868 begann. Dabei näherte sich das konservative Japan dem modernen Westen an. Ein Großteil der damaligen spirituellen Bewegungen wandte sich vom Buddhismus ab und führte – ähnlich wie beim Christentum – den Monotheismus ein. Der eine Gott ist dabei der Schöpfer aller Dinge, und alle Menschen sind seine Kinder.

Viele der neuen Religionen, die nach Beginn der japanischen Modernisierung entstanden, bekennen sich zu einem monotheistischen Gottesbegriff mit unverkennbaren christlichen Einflüssen. Die neue Religion Seichō-no-ie zählt z.B. das Johannes Evangelium zu ihren heiligen Büchern. Andere Bewegungen identifizieren die einzige Gottheit mit der Sonnengöttin Amaterasu und wollen alle Religionen der Welt durch die Sonnenverehrung vereinen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Bewegungen weisen zudem Einflüsse aus dem indischen und tibetischen Buddhismus auf.

Seichō-no-ie Logo Lehre
Das Logo der Seichō-no-ie und deren Hauptlehre

Andere religiöse Einflüsse sind ebenfalls erkennbar

In Japan haben sich viele neue religiöse Bewegungen gebildet, die insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind und als „Neo-neue Religionen“ bezeichnet werden können. Diese Bewegungen weisen unter anderem Einflüsse aus dem indischen und tibetischen Buddhismus sowie dem amerikanischen Spiritualismus auf.

Man kann diese Bewegungen in drei Wellen unterteilen:

Erste Welle:
Bewegungen, die im 19. Jahrhundert am Ende der Edo-Zeit und zu Beginn der Meiji-Zeit (1868 bis zum Tod des Kaisers am 30. Juli 1912) entstanden sind.

Zweite Welle:
Bewegungen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden sind und bis in die Nachkriegszeit hinein aktiv waren.

Dritte Welle:
Organisationen, die ab 1960 entstanden sind und oft als „Neo-neue Religionen“ bezeichnet werden.

Weitere Eigenschaften der neuen Religionen

Obwohl es zahlreiche Bewegungen gibt, haben viele ein Merkmal, das sie von den traditionellen Formen der Religion abhebt: die starke Einbeziehung der sogenannten Laien-Personen. Mehrere der später genannten Gruppierungen sind aus Laienbewegungen entstanden. Zu den Kennzeichen der neuen Religionen zählen auch Gottesdienste, wie sie im Christentum zwar gebräuchlich, im traditionellen Buddhismus jedoch ungewöhnlich sind. Dazu gehören tägliche Rituale und Gebete aller Gläubigen. Die Gründer der neuen Religionen sind in der Regel charismatische Laien, nicht selten selbstbewusste Frauen, die oft als Messias angesehen werden. Sie gelten als Vermittler und Verkünder einer Heilslehre.

Ein weiterer Punkt, den viele Neureligionen vereinen, ist die Bereitschaft der Gläubigen, Geld in die Glaubensrichtung zu investieren. Einzelne Gemeinschaften haben dadurch enorme Summen gesammelt, die in Form von pompösen Tempelbauten oder anderen kulturellen Gebäuden eingesetzt werden. Viele Gründer erklären diesen Erfolg vor allem dank ihrer spirituellen Authentizität sowie der Vermittlung des Glaubens.

Nun befassen wir uns damit, welche neuen Religionen in Japan existieren, unterteilt in den bereits erwähnten drei Wellen.

Die erste Welle

Ein Beispiel für die erste Welle wäre wohl Konkōkyō. Im Jahr 1859 wurde sie vom Stifter Kawate Bunjirô alias Asakawa Bunji gegründet, der eine Art „Einwohnung“ (= Gottes Heimstätte auf Erden) hatte und in seiner Wohnung im selben Jahr die neue Religion gründete. Anschließend nannte Kawate Bunjirô sich Konkô Daijin (= „Großer Gott Konkô“) und ließ sich auch so im staatlichen Melderegister eintragen.

Konkokyo
Das Logo der Konkôkyô.

Während der Einwohnung versöhnte er sich mit Kane-no-Kami (einem Elterngott bzw. Gott der Liebe), der als zornig galt und akzeptierte sie als alleinige Gottheit. Erst nach Kawates Tod zwischen 1883 und 1885 erfolgte die organisatorische Gründung der Bewegung, die ihn als Mittelpunkt aller Überbringungen sah. Daraufhin wurde die Konkôkyô von der zentralen Shintô-Behörde akzeptiert und seitdem als eine der 13 Sekten des „Sektenshintô“ geführt. Seit 1963 wird die Bewegung von Konkô Kagamitarô geführt. Der Hauptsitz von Konkōkyō ist in der Okayama-Präfektur in der Stadt Konkô. Schätzungsweise sind 440.000 Menschen in Japan Mitglieder von Konkōkyō.

Die zweite Welle

Im Gegensatz zur ersten Welle besteht der Unterschied darin, dass die Bewegungen ihre Wurzeln im Buddhismus sehen, meistens aus der Nichiren-Tradition. Neureligionen wie Sôka Gakkai und Risshôkôseikai haben sich etwa dem Lotus-Sutra verschrieben.

Ein Beispiel für die zweite Welle ist Reiyûkai (dt. „Gesellschaft der Freunde der Geister). Im Jahr 1925 gegründet, gilt sie als Vorreiterin für viele jüngere Neureligionen in Japan wie etwa der Risshôkôseikai. Gegründet wurde die Reiyûkai von Kubô Kakutarô, seinem Bruder Kotami Yasukichi sowie dessen (zweiter) Frau Kotami Kimi. 1923 versuchte Kubô bereits, die Botschaft der Ahnenverehrung als die reine Lehre des Nichiren zu verbreiten, wurde allerdings des Aberglaubens und des Schamanentums verurteilt und aus seiner eigenen Familie ausgeschlossen.

Für Kubô steht das 20. Kapitel des Bodhisattva Jôfugyô (Sadāparibhūta) im Fokus. Dort wird von der gesetzlosen Endzeit berichtet: Die Seelen der Verstorbenen gelangen in der neuen Religion zu ihrem Recht, ihr Wohlergehen hat das Wohlergehen der gläubigen Verehrer zur Folge. So wird die Seele des Gründers seit seinem Tod 1944 als Buddha verehrt, während die Seele von Kotani Yasukichi nur den Rang des „kami“ einnimmt. Traditionelle, aus dem Konfuzianismus stammende familiäre Werte wie die Ehrung der Alten und die Pflege von Pflichtbeziehungen sind Teil der Lehre und Erziehung. Dabei spielen auch Frauen eine große Rolle. Seit 1971, dem Todesjahr von Kotani Kimis, wird die Religionsgemeinschaft von Kubô Tsugunari geleitet. Schätzungen zufolge zählen die Reiyûkai ca. 5.140.000 Mitglieder und haben ihr Hauptquartier im Stadtteil Azabu in Tokio.

Eine weitere Gemeinschaft, die 2019 medial bekannt wurde und der zweiten Welle zuzuordnen ist, wäre die Vereinigungskirche des Koreaners Sun Myung Moon. Im November 2019 wurde bekannt, wie ein von der Vereinigungskirche verbannter Vater seine Familie nach dem Vorbild der Vereinigungskirche isoliert aufzog und dabei komplett von der Zivilisation abschnitt. Erst durch den Fluchtversuch eines Sohnes ist es aufgeflogen.

Die dritte Welle (nach 1980)

Bevor wir uns dem eigentlichen Thema, der Happy Science, widmen, machen wir einen Schlenker zur Aum Shinrikyō-Gruppierung (dank der Medien in Deutschland auch als Aum-Sekte bekannt). Diese lässt sich wie die Happy Science zur dritten Welle kategorisieren.

Gegründet 1984 besaß die Gruppe, die heute unter dem Namen Aleph bekannt ist, tiefe Wurzeln in der buddhistischen, shintōistischen und volksreligiösen Tradition Japans. Der Gründer Asahara Shōkō (bürgerlicher Name Matsumoto Shizuo) war bereits als Kind Mitglied der an dem Agama Sutra des Theravada-Buddhismus orientierten Agon-Vereinigung. Auch diese war eine 1954 gegründete neue religiöse Bewegung. Diese verließ er 1984. Seit 1987 neigte sich der auf einem Auge blinde Asahara dem Mahayana-Buddhismus japanischer Prägung zu und erlangte 1989 den Status der religiösen Körperschaft.

Was ist eine religiöse Körperschaft?

Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die als Körperschaften anerkannt sind, haben einen eigenen öffentlich-rechtlichen Status. Zu den besonderen Rechten, die diesen Gemeinschaften verliehen werden, zählen beispielsweise:

  • das Recht zum Steuereinzug bei ihren Mitgliedern,
  • die Dienstherrenfähigkeit (Möglichkeit, die Rechtsstellung ihrer Bediensteten öffentlich-rechtlich auszugestalten),
  • die Rechtssetzungsbefugnis (für eigenes Binnenrecht, z.B. Regelungen zur innerkirchlichen Organisation und zum Mitgliedschaftsverhältnis), und
  • das Recht, kirchliche öffentliche Sachen durch Widmung zu schaffen.

Der Gründer von Agon, Kiriyama Seiyû, übernahm die Wertschätzung des Yoga mit dem Ziel der endgültigen Befreiung (Samadhi), sowie die Verehrung des Gottes Shiva und seiner selbst. Bis 1990 versuchte er mit seiner kleinen Gruppe die kollektive Errettung des Landes und der Welt zu erreichen. Anschließend wurde die Gruppe immer radikaler und betrachtete sich als ein „Staat im Staate“. Auf dieser Basis wurde militärisch aufgerüstet und im Herbst 1994 (Matsumoto) sowie im März 1995 (Tokyo) wurde ein Giftgasanschlag ausgeführt. Dadurch wollte die Gruppe ihrem Ziel der Befreiung näher kommen.

Bis 2018 wurden alle 13 Todesstrafen der Anhänger der Aum-Sekte vollbracht. Bild: Gruppenführer Asahara Shôkô.

Es wurden gesetzliche Änderungen nach den Anschlägen vereinbart.

Nach den Anschlägen in Japan wurde eine grundsätzliche Neufassung des „Gesetzes über religiöse Körperschaften“ eingeleitet. Die Aum Shinrikyō-Gruppierung wird seitdem in vielen Ländern als Terrororganisation betrachtet und auch unter ihrem neuen Namen in Japan streng überwacht. Im Jahr 2018 wurde der Anführer der Glaubensgemeinschaft, Asahara Shôkô, in Japan hingerichtet.

Happy Science – die Verkörperung einer modernen neuen Religion.

Happy Science ist eine neue Religion, die 1986 unter dem Namen „Kôfuku-no-Kagaku“ (dt. Wissenschaft des Glücks) von Okawa Ryûhô gegründet und 2008 umbenannt wurde. Nakagawa Takashi, Okawas Geburtsname, gründete die Religionsgemeinschaft im Alter von 30 Jahren mit dem Ziel, eine global agierende Religion zu schaffen.

Die Lehren, die bei Happy Science gelehrt werden, bestehen aus einem komplexen Konstrukt, in dem verschiedene „Dimensionen“ und Charaktere vorkommen. Im Jahr 1981 erlangte Okawa die große buddhistische Erleuchtung und erweckte einen verborgenen Teil seines Bewusstseins, der den Namen „El Cantare“ trägt. El Cantare ist eine Reinkarnation von Shakyamuni Buddha und brachte Okawa im geistigen Zustand zusammen mit Mohammed, Christus, Buddha, Konfuzius und Mozart die vier Prinzipien des Glücks bei: das Prinzip der Liebe, der Weisheit, der Reflexion und der Entwicklung.

Das Prinzip der Weisheit bezieht sich beispielsweise auf die Wahrheit Gottes, wie sie sich in den Zehn Geboten Mose und Jesu‘ Lehre von der Liebe erweist. Auch der achtfache Pfad des Buddha Shakyamuni ist wichtig. Owaka dient dabei als Medium der Weisheiten und Botschaften aller (berühmten) Personen, die ihm begegnet sind.

Insgesamt soll Okawa seit 1986 über 2.500 Bücher geschrieben haben, um sein Wissen an seine Jünger weiterzugeben. Viele der Bücher sollen allerdings rohe Transkripte sein, die noch nicht offiziell veröffentlicht wurden.

Happy Science wird nachgesagt, wie ein Wirtschaftsunternehmen zu agieren. Es gibt einen Vorstand sowie mehrere Unterabteilungen, die es El Cantare ermöglichen, Dienststellen neben Berlin auch in Sao Paulo, New York und Seoul zu betreiben. Experten schätzen die weltweite Mitgliederzahl auf 300.000 bis 500.000 Personen. Die Organisation ist seit 2009 mit der Happiness Realization Party auch politisch in Japan aktiv, konnte sich bislang aber nicht festsetzen. Die Partei gilt als nationalistisch-rechts.

Vielfalt in Japan – auch in der Religion vorhanden!

Passend zum Thema: Auch Südkorea aktuell im Fokus

Ebenfalls zur dritten Welle gehörend ist die 1984 gegründete Shincheonji-Kirche. Diese steht im Verdacht, als „Super-Spreader“ für die hohe Infektionsrate des SARS-CoV-2 in Südkorea verantwortlich zu sein. Außerdem ist bekannt, dass die Kirche auch in Deutschland aktiv ist.

Im nächsten Teil der Artikelreihe befasse ich mich mit der medienwirksamen Vermarktung von Happy Science.

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