Japanischer Horror: Eine kulturelle Analyse von Youkai und Yuurei in Anime und Manga

Für viele westliche Anime-Fans kann Horror in Anime ein Schock sein, da er oft nicht so gruselig ist, wie sie es von westlichen Filmen und TV-Serien gewohnt sind. Das liegt daran, dass der Horror in Japan auf einer völlig anderen Grundlage basiert als im Westen. In diesem Text möchte ich einen kleinen Einblick in die japanische Mythologie geben und erklären, warum man bei einem Horroranime nicht unbedingt auf einen ultimativen Schocker hoffen sollte.

Warum Anime als Medium für Horror nur bedingt geeignet ist

Es ist offensichtlich, dass Anime und Manga im Laufe der Jahre zu einem immer größeren Teil der Unterhaltungsindustrie geworden sind. Der Boom der 90er Jahre mit Serien wie Neon Genesis Evangelion und Akira hat das Genre weltweit populär gemacht und heute kann man Anime und Manga dank Anbietern wie Crunchyroll und Kazé jederzeit konsumieren. Sogar Hollywood hat das Interesse entdeckt und versucht, das Genre mit Adaptionen wie Death Note und Ghost in the Shell zu erobern.

Allerdings muss man feststellen, dass das Horrorsegment im Anime-Bereich oft nicht den Erwartungen entspricht. Im Vergleich zu westlichen Produktionen wie Horrorfilmen und -serien können Anime-Horrorproduktionen oft nicht mithalten. Obwohl Titel wie Another und Higurashi auch das westliche Publikum ansprechen können, enttäuschen viele Horroranime-Zuschauer aufgrund falscher Erwartungen und wenden sich schließlich ganz vom Genre ab.

Grund 1: Erwartungshaltung

Einer der Gründe dafür ist, dass Animefans sich so stark an den westlichen Horror gewöhnt haben. Zombies, Vampire und Werwölfe sind ein elementarer Bestandteil diverser Mythen und Legenden. Von den ganzen Torture-Porn-Filmen der letzten Jahre (wie z.B. SAW, Hostel, Texas Chainsaw Massacre, Final Destination oder das Remake zu Evil Dead) möchte ich gar nicht erst anfangen. Die Erwartungshaltung an Horroranime ist dementsprechend eine ganz andere, weshalb viele Titel für Animefans das Prädikat „enttäuschend“ bekommen, obwohl diese im Hinblick auf den japanischen Horror grandiose Titel sind.

Grund 2: Der Glaube

Der mitunter wichtigste Grund ist der japanische Glaube. Hierfür muss man folgende Informationen zunächst wissen: Es gibt in Japan zwei Hauptreligionen – der Buddhismus sowie das Shinto. Der Buddhismus wurde von koreanischen Gelehrten um 500 n. Christus aus China nach Japan gebracht, aber Shinto ist im Land einheimisch. Interessanterweise wird heutzutage sowohl Shinto als auch der Buddhismus gleichzeitig praktiziert, was man zum Beispiel an Hochzeiten sieht, die nach Shinto-Art gehalten werden, während Beerdigungen typisch-buddhistisch sind. In Japan erfordern beide Religionen keine strenge Mitgliedschaft – es werden einfach traditionelle Rituale aus Tradition vollführt und nicht, weil dies die Ausrichtung vorsagt. Dank dieser Flexibilität verfügt die japanische Kultur über eine Fülle von Legenden und Überzeugungen, die beide Religionstypen vereinen. Zum Beispiel lehrt der Buddhismus, dass das Leben eine Fassade ist und dass der ewige Kreislauf von Tod und Wiedergeburt nur dadurch vermieden werden kann, dass man sich selbst von dieser Täuschung überzeugt. Viele buddhistische Geistergeschichten sollen diese Idee untermauern, indem zum Beispiel ein buddhistischer Mönch einen Berg besteigt, nur um zu sehen, dass er nur aus den Knochen seines früheren Lebens besteht. Shinto hingegen lehrt, dass jeder Tote beten kann und sonst sehr wenige über das Leben nach dem Tod zu sagen hat.

Der Shinto-Schöpfungsmythos beschreibt zwar ein Land der Toten, jedoch wurde dies mit der Einführung des Buddhismus als Konzept einer Mehrfachhölle angepasst. In der Lehre von Shinto selbst behandelt man selten direkt den Tod und legt nur nahe, dass jeder Mensch eine Seele hat (genannt Reikon), die unter den Lebenden stecken bleiben kann, wenn die Person stirbt und sich mit übermäßigen Gefühlen belastet fühlt oder wenn sie nicht richtig begraben wird. Dieses Konzept von „exzessiver Emotion“ ist etwas, auf das wir zurückkommen werden, da es die Grundlage jeglicher zeitgenössischen japanischer Horrorszenarien bildet. Ein wichtiger Punkt hierbei ist, dass die Japaner in der Regel dem Buddhismus und dem Shinto starr gegenüberstehen und erfordert wird, dass die jeweilige Gesellschaft akzeptiert wird und der größte Teil

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Grund 3: Erscheinungen und Monster

Japans übernatürliche Wesen lassen sich in zwei Kategorien einteilen: die Youkai und die Yuurei.

Youkai lassen sich aufgrund ihrer physischen Natur am ehesten mit westlichen Monstern vergleichen (im Gegensatz zu den eher ätherischen Yuurei). Oft haben sie tierische Formen und können böswillig sein, verfolgen aber selten langfristige Ziele oder Pläne. Vergleichbare Wesen im Westen sind zum Beispiel Goblins oder Oger, während in Japan sogenannte Marderhunde und Tsuchinoko (ein schlangenartiges Wesen, das weite Distanzen springen kann) als Youkai bekannt sind. Es gibt wirklich viele Arten von Youkai, und sie erscheinen dementsprechend in ebenso vielen Anime und Manga. Solche Wesen werden jedoch meist nicht sehr beängstigend präsentiert.

Yuurei hingegen sind das Herz des japanischen Horrors. Yuurei sind Geister, die auf dieser Welt gestrandet sind, weil sie etwas vollenden müssen, was noch nicht getan wurde. Im Gegensatz zu den Youkai sind Yuurei durchgehend böse und wollen den Menschen quälen. Ein Mensch, der zum Yuurei wird, soll alles über sich vergessen haben und sich einem Ziel widmen: den Auslöser finden, wodurch er nicht in Ruhe ruhen kann. Viele solcher Geschichten handeln von Geistern, die zurückkehren, um ihren Mörder zu verfolgen oder ihre Qualen an anderen Menschen zu zeigen, wie zum Beispiel an einem Selbstmord gestorben sind.

Das zugrundeliegende Konzept hinter dem japanischen Yuurei ist „onnen“ – die Idee, dass einige Emotionen so stark sind, dass ihre Macht von jenseits des Grabes ausdehnen kann. Fast alle klassischen und zeitgenössischen Geistergeschichten aus Japan haben die Grundidee des „onnen“. Yuurei werden oft als Menschen in einem weißen Trauergewand mit langen dunklen Haaren dargestellt (na, wer kennt einige Titel mit solchen Wesen?). Ursprünglich wurden Yuurei in Kunst und Theater als von normalen Menschen nicht mehr zu unterscheidende Wesen dargestellt, doch im 18. Jahrhundert änderte sich der Stil in verblassende, durch die Luft schwebende Geister. Sie hatten ausgestreckte Arme sowie nach unten hängende Hände. Der Grund dafür, dass solche Figuren meist weiblich dargestellt werden, ist die Annahme, dass Frauen mehr und länger Groll hegen als Männer. Yuurei neigen dazu, eine bestimmte Person oder einen bestimmten Ort zu verfolgen. Da die Yuurei im Gegensatz zu den Youkai einen einzigartigen Grund haben, in der sterblichen Welt zu bleiben, verschwenden sie ihre Zeit nicht oft damit, Menschen anzugreifen, die sie nicht kennen oder zu denen sie keine Bindung haben.

Hier zeigt sich dann eine weitere interessante Eigenschaft des japanischen Horrors: die Idee, dass der Yuurei nur durch eine Art Figur oder Hohlkörper beseitigt und geheilt werden kann.

Japanischer Horror ≠ Westlicher Horror

Aufgrund dieser Grundlage bin ich der Meinung, dass man japanische Anime-Horrorfilme anders betrachten sollte. Beim Anschauen von Horror-Animes sollte man immer im Kopf behalten, dass das meiste, was für den westlichen Zuschauer beim Horror-Anime relevant ist, für japanische Zuschauer komplett anders aussieht. Da wir keine Verbindung zur Religion haben, stellen Youkai oder Yuurei eine völlig andere Bedrohung für uns dar als für (religiöse) Japaner.

Der westliche Horror und die Erwartungen der Fans zeichnen sich eher durch den Konflikt mehrerer Personen aus. Im Westen sind Horrorfilme neben den (wenigen) Mythen und Legenden eher darauf ausgerichtet, physische Schäden am Körper zu verursachen. Obwohl auch in westlichen Horrorfilmen die Psyche eine wichtige Rolle spielt – das Risiko, das von Kindern ausgeht, wurde in der Originalverfilmung von „Es“ deutlich – sind solche Filme meines Erachtens eher zur Ausnahme geworden. Szenarien wie Zombies oder Ähnliches passen nicht zur Mythologie Japans, weshalb solche Horrortitel eine absolute Ausnahme darstellen und an ein größeres, westliches Publikum angepasst werden. Der Horror, der oft in Animes praktiziert wird, ist jedoch für Japaner gemacht, damit sie sich nicht gruseln. Aus diesem Grund mag „Yami Shibai“ als Horror-Referenz in Bezug auf Urban Legends gelten

10 Antworten

  1. Das ist ohne jeden Zweifel mal eine interessante Sichtweise auf Horror im Anime Segment und war durchaus lehrreich, auch wenn ich einige dieser Dinge schon gehört habe. Westlicher Horror ist sowieso relativ langweilig für mich, da so viele Filme bei uns einfach nur auf Jump Scares setzen. Vom Torture Horror will ich gar nicht erst anfangen…

    Aber ich möchte noch eine kleine Perspektive geben, was für mich wahrer Horror ist. Ich denke, dass die furchterregendsten Horror Geschichten Werke wie Monster sind, wo der Horror nicht durch die Präsenz eines Monsters oder übernatürlichen Wesens entsteht, sondern einfach nur durch die menschliche Psyche und wozu sie fähig ist. Grisaias Angelic Howl Arc ist auch ein ziemlich gutes Beispiel hierfür. Leider habe ich das Gefühl, dass viele Menschen diese Sachen gar nicht als Horror ansehen, da wir so auf Torture-Porn und Jump Scares abgerichtet sind.

    Wollte dich noch kurz auf einen Fehler hinweise. Kurz vor Schluss sagst du „psychische Schäden am Körper“. Ich glaube du meintest hier physisch, was im Zusammenhang mit dem nächsten Satz auch mehr Sinn macht.

    Ausserdem, der Netflix Death Note Film ist eine der grössten Katastrophen unserer Zeit…

    1. Ich muss ja zugeben das ich absolut ein kleiner Schisser bin wenn es um westlichen Horror geht. Ich finde es ist eine komplett andere Sache ob 2D-Figuren gequält werden oder „reale“ Menschen.

      Und deshalb ist es, wie ich finde absolut wichtig bei Empfehlungen wenn es um Horroranime geht dies zu erläutern. Viele Fans gehen nunmal an die Erwartungshaltung heran das sie genauso geschockt werden möchten wie bei westlichen Produktionen. Klar, gibt es einige Anime welche auch auf solche Fans geziehlt sind (Tokyo Ghoul, Another, usw) – jedoch sind diese im Vergleich zu den Animetitel welche nur für Japaner produziert werden absolut im Minus.

      Danke o/ werde es demnächst ändern.

  2. Das ganze schlägt sich auch nicht nur in Anime/Manga nieder, sondern auch oftmals in Games, wie zum Beispiel Horror-Spielen wie Zero Project (Fatal Frame), Yomawari, White Day: A Labyrinth called School oder auch dem Erfolg von Yokai-Watch in Japan, der hier im Westen doch eher mau ausgefallen ist.
    Wo Japaner etwas sehen was sie direkt verstehen können weil es aus ihrem Glauben kommt (zum Beispiel sind mir die meisten Youkai in Yomawari ein totales Rätsel und ich kann nur durch Trial und Error erraten wie man mit welchem Youkai umzugehen hat) sehen wir hier im Westen nur eine (um Yokai-Watch mal als Referenz zu nehmen) süße Katze mit Flammen in einem Pokemon-ähnlichem Spiel, die in Japan aber eigentlich ein rachsüchtiger Geist ist, nur halt mal in niedlich.

    Detto wieder zurück zu Yomawari. Sind für den Westen nur die Atmosphäre und „Jump-Scares“ des spiels wirklich etwas gruseliges, so kann es für Japaner schon schlimm genug sein einen der Youkai oder Yuurei nur auf der Straße lungern zu sehen um sich zu schrecken, weil der Glauben so tief verwurzelt ist.

    Japan hat diesen Trend zwar schon lange erkannt, wenn man von Spielereihen wie Silent Hill/Resident Evil udg ausgeht, aber dieses Gore-Fest das westlicher Horror immer erwartet ist für mich ganz im Gegenteil nur mehr langweilig (was vielleicht daran liegt dass ich schon als Kind in die Richtung abgestumpft wurde…), dafür finde ich diese rein japanischen Horror-Dinge, sowohl in Animes als auch Games viel spannender und mehr … Horror?, selbst wenn ich die Monster selbst nicht so verstehen kann, ist doch viel mehr Atmosphäre in Horror-Medien, die rein auf eben das setzen: Atmosphäre, die Angst vorm Unbekannten und allem was dazu gehört. In Japan ist das Wissen dass ein Geräusch im Dunkeln bedeuten kann dass ein Yokai in der Nähe ist der einen umbringt wenn man nicht gleich auf die richtige Weise reagiert. Dafür muss nichtmal etwas passieren. Nur das Geräusch, die Anspannung reicht. Das ist was für mich wirklichen Horror ausmacht.
    Wohingegen der Westen sagt: Uuuuuh…ekliges Monster, und meine Schrotflinte ist leer. Gruuuuuselig.
    Oder: Ich bin um die Ecke gegangen und wurde aufgespießt. Oh Gott, was für ein Horror-Trip das hier ist.

    Ich weiß ich springe thematisch ein bisschen irritiert durch die Gegend, aber ich hoffe ich konnte meine Gedanken doch logisch richtig unterbringen.
    Zum Ende möchte ich noch sagen dass ich den Post wirklich gut recherchiert und aufgebaut finde. 🙂

  3. Ganz Kurze Anmerkung, ohne das ich deinen Beitrag an sich kritisieren will, der sehr gut durchdacht ist, würde ich „A Serbian Film“ aus der Reihung von Splatter Filmen rausnehmen…. A Serbian Film ist zum teil Splatter ja, aber zum großteil ein abstruses Machwerk das sich keiner ansehen sollte der nicht verstörendste Alpträume bekommen will, vor allem nicht weil er es in verbindung mit Saw gelesen hat, das im Vergleich für mich (und viele andere) ein Kinderfilm ist.

    1. Ich denke man kann A Serbian Film als Pendant zum Boku no Pico nehmen. Hat jeder einmal gesehen da der Titel doch in aller Munde war, doch so schnell er bekannt wurde hat es jeder vergessen.

      Welchen Film magst du anstelle drin haben?

  4. Vergleichen ja, ok kein Problem, aber im Vergleich zu „Normalen“ Splattern, ist A Serbian Film doch „anders“ aka wer ihn gesehen hat, will ihn sich zu 99% nicht nochmal ansehen…. ums mal „vorsichtig“ zu sagen^^

    Nimm doch was „normales“ im Vergleich, zb: Texas Chainsaw Massacre, High Tension, Martyrs, Evil Dead, etc. etc…. alles Splatter die man sich (gerne) öfter ansehen kann.

    PS: Wenn dir keiner davon passt, ich hab hier *kurz nachschau* 129 Horror/tw Splatter Filme, dann such ich n anderes Beispiel raus, aber verglichen mit den anderen 3 titeln ist es mMn wie wenn du König der Löwen, Pocahontas, Bambi und Elfenlied vergleichst… Nur weil alles gezeichnet ist („Anime“, ist es noch lange nicht für Kinder, genauso wenig wie A Serbian Film „normaler“ Splatter ist….

  5. Nichts zu danken, hab in den letzten Monaten sehr viel an vor allem alten Horrorfilmen aufgeholt (also vor 1990), und ja… ich wollte einfach einigen Leuten ersparen sich dieses Machwerk anzutun weil die es in einem Atemzug mit Final Destination gelesen haben 😀

    PS: Hab deinen Blog gerade gestern nacht um 2 Uhr morgens oder so entdeckt, und backtracke grade deine Posts 😉

    1. Ich bin momentan bei „Six“ auf Amazon Prime Video hängengeblieben – bin leider kein großer Horror-Fan von westlichen Produktionen da ich doch ein kleiner Schisser bin…dafür sagt mir, wie schon im Beitrag zu lesen der japanische Horror viel mehr zu.

      Ja, vielen Dank! Hoffe es ist alles gut lesbar. Auch wenn ich recht neu in der Bloggerszene bin (zwi Monate gibt’s mich hier erst) hoffe ich doch das alles lesbar isr..^^

  6. Du hast vollkommen recht mit den „Westlichen – Ami“ Produktionen, fast alle sind nur auf Jumpscares etc. ausgelegt, aber vor allem bei den alten Filmen gibt es seeeeehr sehenswerte, z.B.: Stephen King Verfilmungen: Friedhof der Kuscheltiere – Pet Semetary, Cujo oder etwas aktueller The Village von 2004, der dürfte deinen Geschmack gut treffen 🙂

    Aber ich kann dir gut und gerne noch 30 andere Titel sagen die du dir definitiv anschauen kannst und die dir sehr wahrscheinlich gefallen werden…. wenn du dir A Serbian Film gegeben hast…. Meine Ex-Freundin verflucht mich heute noch das wir den damals angeschaut haben (und ich mich selber auch ehrlich gesagt…^^)

    Also die 2 Monate hätte ich dir nicht angemerkt, guter Lesefluss, schöne Wortwahl, gut recherchiert… was will man(n) mehr? 😉

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