Japan hat eine der geringsten Mordraten überhaupt. Im Jahr 2016 wurden nur 360 Mordfälle gemeldet. Zur Abwechslung vom Popkultur-Alltag möchte ich euch Kriminalfälle näherbringen, die entweder schockieren oder unbekannt sind.
Die Fälle, die ich hier beschreibe, sind sehr direkt geschrieben und deshalb sehr speziell. Wer also mit einer „härteren“ Schreibart Probleme hat (oder generell explizite Gewaltdarstellung nicht mag), sollte hier einen Bogen um den Text machen. Diesen Disclaimer setze ich zu jedem Fall, da diese natürlich vom Härtegrad abweichen können.
Den Anfang machen die Kitakyushu-Morde!
Eins vorweg: Dieser Fall wurde von der japanischen Presse „aus Pietätsgründen“ nicht öffentlich gemacht. Die Verbrechen von Matsunaga waren so grausam, dass die meisten japanischen Medien nicht bereit waren, Details zu veröffentlichen. Die Japan Times berichtete, dass Staatsanwälte den Fall als unvergleichlich in der Kriminalgeschichte Japans einstuften. Erst durch die Recherche mehrerer Reporter kamen die Details ans Licht.
Futoshi Matsunaga wurde 1961 in Kitakyushu geboren und ist in Yanagawa aufgewachsen. Yanagawa ist eine Küstenstadt mit 70.000 Einwohnern in der Präfektur Fukuoka und gespickt mit vielen Gebäuden aus der Edo-Zeit. Dementsprechend gibt es auch viele (Ab-)Wasserkanäle, denen die Stadt auch ihren Namen „Klein-Venedig“ verdankt. Sprachlich talentiert war er charmant und beliebt bei Mitschülern und Freunden. Er konnte sie richtig für sich gewinnen. In der Kindheit wurde seine übertriebene Aufgeschlossenheit untersucht und eine Störung in der sozialen Distanz diagnostiziert. Ich kenne die Fachtermini nicht, aber er sprach fremde Personen auf der Straße mit genau derselben Vertrautheit an, mit der er beispielsweise seiner Mutter begegnete.
Bereits in jungen Jahren fiel er auf, da er mit minderjährigen Mitschülern sexuelle Kontakte pflegte. Als „Strafe“ wurde er auf ein Jungeninternat versetzt. 1980 wurde er mit 19 Jahren Vater eines Sohnes und heiratete. Obwohl er verheiratet war, hatte er gleichzeitig 10 Geliebte. 1982 traf er Junko Otaga wieder, die er bereits aus der gemeinsamen Schulzeit kannte. Auch sie wurde eine seiner Geliebten. Futoshis Ehe hielt wegen häuslicher Gewalt nicht lange. 1984 hielt er um die Hand seiner alten Schulkameradin Junko Otaga an. Deren Mutter war jedoch gegen die Ehe mit ihm, da sie wusste, dass er zu Gewalt gegenüber Frauen neigte. Junko vertraute sich ihrer Mutter an und berichtete, dass Futoshi sie vergewaltigt, geschlagen und mit Elektroschocks misshandelt hatte
Im gleichen Jahr baute Futoshi das Wohnhaus seiner Eltern zu einem dreistöckigen Wohn- und Geschäftshaus aus. Er gründete ein Fachgeschäft für japanische Futons und richtete dieses im Erdgeschoss ein. Das erste Stockwerk behielt er für sich und die restlichen beiden Stockwerke vermietete er – allerdings nur zum Schein. Später stellte sich heraus, dass er das Haus mehrfach beliehen hatte und auch in Sachen Geschäftszahlen eher zwielichtige Dinge tat, wie beispielsweise Fälschungen zu verkaufen. Futoshi litt außerdem unter religiösen Wahnvorstellungen, die er auch in seinem Geschäft an seine Kunden weitergab. So schrie er einen Kunden einmal aus dem Nichts an, dass böse Geister ihm folgten. Zufälligerweise hatte diese Person kürzlich ihren Job verloren und fühlte sich vom Pech verfolgt. Futoshi bot ihr einen Job in seinem Geschäft an, den sie dankend annahm. Auch sie wird eine Rolle in der Geschichte spielen, keine Sorge!
Futoshi hatte das Haus umgebaut und dabei einen speziellen Raum ohne Fenster errichtet, der genau sechs Steckdosen besaß und dickere Wände hatte. Offiziell wollte er damit seine HiFi-Anlage genießen. Inoffiziell folterte er dort die Mitarbeiter des Geschäfts und seine eigene Familie mit Elektroschocks, wenn die Geschäftszahlen nicht rosig aussahen. Angestellte, die Kinder hatten, bedrohte er damit, nichts zu sagen, da er sonst deren Familie miteinbeziehen würde. Die gefolterten Angestellten blieben bis zu fünf Jahren im Laden angestellt und schwiegen. Dieser Punkt kam erst im Laufe der Ermittlungen ans Licht.
In der Öffentlichkeit gab sich Futoshi als autoritärer, aber sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Mit seinem hohen Intellekt und der Fähigkeit, Menschen zu seinen Gunsten zu manipulieren, kombinierte er beides, um die Menschen auf Distanz zu halten und trotzdem die volle Kontrolle über sie zu erlangen. Frauen, die er verführen wollte, behandelte er anders. Er wirkte wie eine andere Person. So hatte er sich einmal für eine musikbegeisterte Frau interessiert. Prompt erzählte er ihr, er sei ein erfolgreicher Musiker und lud sie zu einem seiner Konzerte ein. Trotz seiner Unfähigkeit an den Instrumenten zwang er seine Angestellten dazu, Musikunterricht für eine Bandgründung zu nehmen, mietete sich eine Konzerthalle und Gäste. Damit er Erfolg bei Frauen hatte, war ihm jedes Mittel recht. Bei diesem Konzert war auch seine Frau Junko anwesend.
Neben dem umgebauten Wohnhaus verfügte er über eine Vielzahl von stetig wechselnden Wohnungen, Häusern, Hütten usw. Diese verschleierte er durch Scheinkäufe oder Scheinanmietungen im Namen seiner Angestellten, Bekannten und Verwandten. Die meisten Immobilien wickelte er über seinen Makler Kumio Toraya ab. Als Angestellte suchte er sich immer Menschen aus, die in Notlagen waren, und gab sich so als großzügiger Chef aus. Auf diese Weise versammelte er Menschen als Angestellte unter sich, die privat insolvent waren, ehemalige Gefängnisinsassen oder geschieden (und damit zu dieser Zeit gesellschaftlich geächtet) waren. Zunächst brachte er diese verkrachten Existenzen in seine eigene Wohnung und zahlte das Gehalt abzüglich der Mietkosten. Dann mussten sie plötzlich umziehen, und aus der Wohnung wurde eine „Bleibe“, die sie sich dann mit anderen Angestellten teilen mussten. Nach getaner Arbeit im Laden wurden die Mitarbeiter zusammengepfercht und eingeschlossen. Schließlich zahlte Futoshi keine Gehälter mehr, sondern „bezahlte“ nur noch mit diversen Mahlzeiten und Elektroschocks im ersten Stock.
Seine ersten Opfer sind bis heute unbestätigt.
Im April 1993 hat er eine verheiratete Frau und Mutter von 3 Kindern überzeugen können, ihre Ehe zu beenden und mit ihrem jüngsten Kind zu ihm zu ziehen. Futoshis Ehefrau Junko gab sich als seine Schwester aus. Im September 1993 verstarb dann das Kind durch einen Schlag auf den Kopf – die genauen Umstände sind bis heute ungeklärt. Im März 1994 verstarb die Frau dann in er Badewanne – ertrunken, angeblich Selbstmord. In dieser einjährigen „Beziehung“ erleichterte Futoshi die Frau um umgerechnet 100.000€. Noch im selben Jahr holte er den oben genannten Immobilienmakler (32 Jahre alt) nebst seiner 9-jährigen Tochter zu sich. Dies gelang ihm durch Drohbriefe und Erpressungen. Kumio machte den Fehler, sich Futoshi zu stark anzuvertrauen, da er von seiner kriminellen Vergangenheit erzählte. Dieses Wissen nutzte Futoshi natürlich zu seinen Gunsten. In der Gefangenschafft mussten Kumio und seine Tochter sich gegenseitig quälen und aneinander sexuelle Handlungen vollziehen. Im Februar 1996 überlebte der mittlerweile 34 Jahre alte Kumio einen der Stromschläge, die ihm seine Tochter antun musste nicht und verstarb. Futoshi hat dann der Tochter eingeredet, dass sie allein für seinen Tod verantwortlich sei und sich allein um die Entsorgung der Leiche kümmern sollte. Anschließend könne sie sich bei ihm vor der Polizei verstecken. Ebenfalls im gleichen Jahr holte Futoshi sich eine ehemalige Bekannte von Kumio als Opfer. Informationen bekam er während der Folter von Kumio. Ihr gegenüber erzählte Futoshi, er wäre ein erfolgreicher Absolvent der Kyoto Universität und hielt dabei nach mehreren Wochen Kontakt um ihre Hand an.
Auch sie lud er zum gemeinsamen Wohnen ein. Die Bekannte brachte auch ihre Tochter mit. Bis zu ihrer Flucht aus dem Horrorhaus im März 1997, bei der die Frau aus dem 2. Stock des Hauses sprang, erleichterte Futoshi sie um 50.000 €. Die Frau wurde vom Krankenhaus anschließend in eine psychatrische Anstalt gebracht. Futoshi und Junko setzten auch das (mittlerweile stark verstörte) Kind vor dem Haus des Ex-Mannes der Bekannten ab. Wie der wirkliche Zustand der beiden Menschen war, ist nicht bekannt. Junko und Futoshi wurden allerdings nicht erwischt. Junko verschwand im April 1997 spurlos und anstelle nach ihr zu suchen, ging Futoshi zur Familie (inkl. Funkos Mutter) und nutzte seine Fähigkeiten, die restliche Familie davon zu überzeugen, dass Junko eine Mörderin sei und sie vor der Todesstrafe oder ihrem Suizid geschützt werden müsse. Als dann Junko aus dem Nichts wieder auftauchte, hielt die komplette Familie Junko fest und Futoshi überredete die gesamte Bande, bei sich einzuziehen. So waren auch Junkos Schwester, sowie deren Ehemann unter seiner Kontrolle. Arbeiten durften sie anfangs, nach geraumer Zeit allerdings nicht mehr. Als sie sich dann arbeitlos meldeten, kassierte er das komplette Arbeitslosengeld für sich ein und erschlich sich so weitere 500.000€.
Wie schaffte er dies umzusetzen?
So schlimm und unglaubwürdig sich das Ganze auch anhört, auf diese Weise werden Sekten geboren und am Leben gehalten. So verwendete er ähnliche Methoden wie Shoko Asahara (der mit dem Gasanschlag in der U-Bahn von Tokyo). Und auch hier muss ich ein bisschen erläutern, damit es verstanden wird: Futoshi nutzte verschiedene Methoden, um seine Opfer zu kontrollieren und diese hörig zu machen. So gelang es ihm, Menschen zu töten, ohne jemals einen eigenen Finger dafür gekrümmt zu haben. Nach außen war er meist sehr höflich, vor allem zu gut betuchten Frauen. Gegenüber seinen Nachbarn und der Öffentlichkeit war er eher kurz angebunden, allerdings auch hier höflich und hilfsbereit. Bei Leuten, die ihm vertrauter waren, zeigte er sich oft eifersüchtig, sadistisch und voller Wut. Er galt als zwanghafter und egozentrischer Lügner, der stets nach Aufmerksamkeit suchte. Mit den späteren Opfern befreundete er sich zunächst an und gewann so im Laufe der Zeit ihr Vertrauen. Oft betrank er sich mit ihnen, um dann Schwächen oder Fehltritte offenbart zu bekommen. Er nutzte so gezielt diese empfindlichen Informationen, um so seine Opfer zu manipulieren. Oft spielte er Familienmitglieder gegeneinander aus, um Groll und Wut zwischen den Einzelnen zu streuen. Ah, und die Elektroschocks! Diese wurden mit Drähten an Händen, Armen, Oberschenkeln, Brustwarzen, Lippen, Ohren und den Genitalien verabreicht und waren so stark, dass die Opfer häufig vor Schmerzen bewusstlos wurden. Das passierte in so einer Regelmäßigkeit, dass die Opfer den Willen zum Leben verloren. Die Opfer wurden auch gezwungen, sich gegenseitig zu töten, meist nach einem „internen Rangsystem“. Wenn sie sich z.B. weigerten Matsudas Willen zu widersprechen, sank ihr Rang und die Behandlung wurde schlimmer. Der Wille, sich Futoshi zu widersetzen und sich gegen ihn zusammenzuschließen, wurde so sehr schnell gebrochen. Auch Geständnisse über Mord und Folter wurden geschrieben; manchmal waren auch Dinge dabei, die nie begangen wurden. Er war allerdings so manipulativ, dass sie es ihm irgendwann glauben, es tatsächlich getan zu haben. Es gab auch eine Uniformpflicht, was einer Trainigshose und einem Oberteil entsprach. Bei Frauen wurde dann das Oberteil weggelassen und die Brustwarzen mit einem Klebestreifen überklebt. Weiter gab es Befehle, sich nur auf allen Vieren zu bewegen, Schlaf gab es nur maximal für 3 – 4 Stunden. Als Decke wurden Zeitungen und Zeitschriften verwendet. Sprechen untereinander war verboten, die Mahlzeiten waren auf ein, maximal zwei am Tag verteilt. Essen durfte man nur 15 Minuten lang. Auch der Toilettengang wurde vorab vereinbart und geregelt.
Selbstverständlich gab es auch kein Licht in der Wohnung, Ranghohe Menschen durften zwar raus, mussten allerdings durchgehend Kontakt mit Matsunaga halten. Türen und Fenster wurden natürlich verschlossen. Durch diese Methoden verfielen alle Opfer in einen Zustand des absoluten Gehorsams. Damit der Text nun doch nicht zu lang wird, hier nun einige Morde kurz und knapp zusammengefasst.
21. Dezember 1997. Junko musste ihren eigenen Vater durch Stromschläge ermorden. Daraufhin verlor Junkos Mutter den Verstand; schrie danach mehrere Wochen. Das gefiel dem Ranghöchsten natürlich nicht. Er befahl Junkos Schwester Rieko und ihrem Ehemann, die Mutter zu töten. Dabei erfuhr der Ehemann von Rieko, dass Rieko ein Kind von Futoshi abgetrieben hatte. Die Mutter wurde am 20. Januar 1998 stranguliert.
Rieko verlor durch die Folter ihr Hörvermögen. Das gefiel Futoshi wiederrum nicht; anschließend wurde sie von der eigenen Tochter gefangen gehalten und von Kazuya, ihrem Ehemann stranguliert. Das geschah am 10. Februar 1998.
Kazuya war durch die Morde apathisch geworden und wurde separat eingesperrt. Er verhungerte bzw. verstarb nach einer Magenblutung. Riekos Sohn, der 5 Jahre alte Yuki, wurde von Aya stranguliert und verstarb am 17. Mai 1998.
Auch Aya verstarb durch Stromschläge, ausgeführt von Futoshi und Junko am 7. Juni 1998. Das Mädchen wurde nur 10 Jahre alt.
Die komplette Familie wurde ermordet
Sämtliche Opfer wurden zerstückelt und so lange gekocht, bis nichts mehr übrig war, was identifiziert hätte werden können. Nochmals eine Orientierung; alle Opfer im Überblick
- Kumio Toraya – Vater von Yahi Toraya
- Takashige Ogata – Vater von Junko
- Shizumi Ogata – Mutter von Junko
- Rieko Ogata – Schwester von Junko
- Kazuya Ogata – Ehemann von Rieko
- Yuki Ogata – Neffe von Junko
- Aya Ogata – Nichte von Junko
Im Juli 2000 hatte Futoshi Lust auf ein neues Opfer, er hielt erneut um die Hand einer Frau an. Diese verlies natürlich auch ihre Familie und wurde anschließend um 170.000€ erleichtert. Obwohl die Frau ihre Familie verließ, vermisste sie ihre Kinder (Zwillinge) und holte sie anschließend mit in die Wohnung. Natürlich erst, nachdem die vollständigen Lebenshaltungskosten für die beiden (bis zur Volljährigkeit) auf das Konto von Futoshi und Junko gingen. Bestimmt habt ihr euch schon gewundert, was mit Yahi Toraya passiert ist. Das damals im Jahr 1994 9 Jahre alte Mädchen konnte am 30. Januar 2002 im Alter von 17 Jahren fliehen und fand Unterschlupf bei ihren Großeltern. Zwei Wochen später fand sie Futoshi allerdings und brachte sie zurück. Den Großeltern erzählte er, dass Yahi drogensüchtig sei und er auf sie aufpasse. Die Bestrafung war dementsprechend hoch, als sie „nach Hause kam“. Trotzdem konnte sie erneut fliehen und ging erneut zu den Großeltern, die dann die Polizei verständigten, da er erneut versucht hatte, sie mitzunehmen.
Sämtliche Taten kamen ans Licht
Yahi erzählte von den Erlebnissen. Darunter waren natürlich der Betrug und die Ausbeute sämtlicher Opfer, Folter, Mord, und sogar Kannibalismus. Matsunaga sagte bei seiner Vernehmung aus, dass Junko alle getötet hätte. Er konnte dies ruhigen Gewissens tun, denn es gab keine physischen Beweise mehr für dessen Taten. Lediglich die Aussagen von Junko und dem Mädchen. Yunko war neben den beiden anderen Mädchen die einzige Überlebende. Anschließend wurde Junko durch Geständnisse diverser Morde zum Tode verurteilt, was allerdings auf lebenslänglich umgewandelt wurde, da sie unter dem Einfluss von Matsunaga gestanden hatte. Yahi wurde, trotz der Morde, nicht verurteilt und ist seither in psychiatrischer Behandlung. Futoshi Matsunaga wurde zur Todesstrafe verurteilt, die im Dezember 2011 auch vollzogen wurde. Er wurde erhängt.
Am 11.10.2019 erscheint über Netflix ein Film vom Skandalregisseur Sion Sono mit dem Titel Forest of Love. Dieser basiert auf oben genannten Fall.
Ich hoffe, euch hat dieser Fall gefallen. Ich plane in Zukunft weiterer solcher zu veröffentlichen!