Mit Voice of Cards: The Forsaken Maiden erschien am 17. Februar 2022 der zweite Teil einer ursprünglich für mobile Endgeräte ausgerichteten Spielreihe der NieR– und Drakengard-Macher. Im Test kläre ich, ob sich dahinter ein solides JRPG-Erlebnis verbirgt oder ob nur Hardcore-Fans ihren Spaß damit haben.
(Eigentlich ein) erstklassig besetztes Entwicklerteam
Yoko Taro, Yosuke Saito, Keiichi Okabe und Kimihiko Fujisaka sind die Köpfe hinter Voice of Cards: The Forsaken Maiden. Während den einen diese Namen nichts sagen, werden andere mit Sicherheit aufhorchen. Diese japanischen Videospiel-Veteranen haben an Titeln wie Drakengard und NieR, sowie NieR: Automata gearbeitet. Wenn Videospielfans Letzteres hören, kann das Spiel nur gut werden … oder?
Mitnichten.
Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei The Forsaken Maiden um den zweiten Teil von Voice of Cards. Der erste Ableger, The Isle Dragon Roars, erschien im Oktober 2021. Nun fragt man sich vielleicht, wie es möglich ist, so schnell einen weiteren Ableger zu veröffentlichen. Das Geheimnis ist relativ simpel und eigentlich sehr clever: Voice of Cards war ursprünglich als Social Game für mobile Endgeräte geplant. Es gibt unzählige Spiele, die in diese Kategorie fallen. Einige davon sind sehr erfolgreich, wie etwa Fate/Grand Order oder Arknights, während andere sehr schnell wieder vom Netz genommen werden. Voice of Cards wurde vom japanischen Entwicklerstudio Alim entwickelt, das bereits mehrere gemeinsame Projekte mit Square Enix, wie etwa Final Fantasy Brave Exvius, durchgeführt hat.
Vom Social Game zum kleinen JRPG
Ursprünglich als Social Game von Yoko Taro und Kimihiko Fujisaka konzipiert, wurde Voice of Cards auf Anregung von Yosuke Saito zu einem JRPG umgestaltet. Hintergrund dieser Entscheidung war die Entlastung von Yoko Taro, der mit anderen Projekten wie NieR Reincarnation bereits voll ausgelastet war. Während das Studio Alim die Führung in der Entwicklung übernahm, hatten die großen Namen wie Yoko Taro und Kimihiko Fujisaka eine eher beratende Rolle.
Um Voice of Cards besser beurteilen zu können, kann man es mit anderen Social Games wie Fate/Grand Order vergleichen. The Isle Dragon Roars kann dabei als eigenständiges Spiel betrachtet werden, das die Main Quest Orleans aus Fate/Grand Order abbildet. The Forsaken Maiden dagegen spiegelt Septem aus Fate/Grand Order wider und benötigt kein Vorwissen aus dem Vorgänger, da die Geschichten unabhängig voneinander sind.
Voice of Cards: The Forsaken Maiden spielt auf einer abgelegenen Inselkette, die seit Generationen von den Mikos beschützt wird, jetzt aber von Zerstörung bedroht ist. Der Protagonist der Geschichte schwört, die Inselbewohner zu retten, und segelt mit diesem Ziel hinaus aufs Meer – zusammen mit Laty, einem Mädchen, das keine Miko werden konnte. Story laut Steambeschreibung
Tabletop meets JRPG….
Mit Voice of Cards: The Forsaken Maiden wird man von wahlweise der Stimme von Mark Atherlay oder Shō Hayamide als Game Master (GM) begrüßt, der einen von nun an begleitet und sämtliche Dialoge und Ereignisse vorliest. Bereits in der ersten Sequenz begegnet man der stummen Laty und verspricht ihr als angehender Seefahrer, sie zur Miko der Insel zu ernennen. Wie? Indem man die anderen Mikos um Hilfe bittet. So beginnt eine rund 15- bis 20-stündige Reise mit allerlei Höhen und Tiefen, die sich mit Themen wie hohen Erwartungen (rote Miko), Liebe (blaue Miko), Selbstbestimmung (weiße Miko) oder Familie (schwarze Miko) beschäftigt.
Schon in den ersten 15 Minuten sieht und spielt man das große Feature des Spiels: Sämtliche Charaktere, die Umgebung und Gebäude werden wie in einer Runde Tabletop als Karten präsentiert. Dabei gibt es mehrere Blickwinkel: In der Oberwelt und generellen Übersichtskarte, die auf einem riesigen Tisch dargestellt wird, sieht man die Party nicht als Charakterporträt herumlaufen, sondern als goldener Totem. Diese Figur bewegt sich von Karte zu Karte, da bestimmte Orte zunächst erkundet werden müssen. Es gibt Hindernisse wie Wasserkarten, Gebirgs- oder Waldmotive, die nicht passiert werden können und mit einer Alternativroute überwunden werden müssen.
Dass man keine Ahnung hat, was einen hinter den verdeckten Karten erwartet, steigert den Anreiz zum Erkunden. Ist es eine Sackgasse? Ein Zufallsevent mit anschließender Nebenmission? Oder gar eine Schatztruhe?
…auch in den Kämpfen
Die rundenbasierten Kämpfe ähneln einem Kartenspiel. Man könnte glauben, man könne ein eigenes Kartendeck bauen, dem ist aber nicht so. Es handelt sich bei dem Spiel um ein klassisches JRPG mit ein bis zwei Änderungen. Anstatt eines Mana-Systems gibt es Kristalle, die zu Beginn jeder Runde vergeben werden und den Einsatz bestimmter Angriffe ermöglichen. Stärkere Angriffe haben höhere Kosten, während weniger starke oder glücksbasierte Angriffe niedrigere Kosten haben. Fähigkeiten, die eine Chance haben, etwas zu tun oder einen zusätzlichen Effekt zu haben, werden durch das Würfeln eines oder mehrerer Würfel bestimmt.
Immer dabei ist der GM, der die eigenen Spielzüge kommentiert und auch das Würfeln für die gegnerischen Monster übernimmt. Voice of Cards: The Forsaken Maiden schafft es hervorragend, eine gemütliche Runde Tabletop zu spielen, ohne es zu übertreiben, und sorgt somit für eine tolle Immersion. Natürlich muss man ein Fan dieser Optik sein, denn bis auf diverse Motive und einzelne 3D-Effekte gibt es nicht viel Aufregendes zu sehen. Diese sind aber dank Fujisakas Designs wirklich sehr schön anzuschauen. Gerade die Mikos sind vom Charakterdesign her wunderbar gelungen.
Ein Kartenspiel im Kartenspiel-artigen JRPG
Auch das im Spiel integrierte Kartenspiel ist gelungen. Hier teilt man sich mit dem Gegner einen Satz Karten. Das Ziel ist es, Sets aus zwei oder drei Karten zu bilden, die man behält, um die eigene Punktzahl zu erhöhen. Das Kartenspiel ist eine gelungene Mischung aus Taktik und Glück, da man zwar nicht entscheiden kann, welche Karten man zieht, jedoch die Spielweise über Sieg oder Niederlage entscheidet. Passend dazu gibt es weitere Regeln, durch die das einfache Kartenspiel durchaus zu einem Taktikfest wird. Es gibt zufällige Ereignisse, besondere Karten und Effekte wie bei Yu-Gi-Oh!. Es könnte sogar ohne Hauptspiel funktionieren und bietet somit eine nette Abwechslung zum JRPG.
Ein Blick dahinter offenbart viele Baustellen
Während das Spiel ästhetisch überzeugen kann, zeigen sich schnell Probleme hinter der Fassade. Man merkt beinahe überall, dass der Titel als Social Game entwickelt wurde. Das Spiel kostet zwar digital nur 30€ und das Gebotene funktioniert dank eines soliden Fundaments, allerdings fehlen moderne Features, die man aus anderen Spielen kennt.
- So kann man sich nur während Kämpfen mit Tränken oder Skills heilen. Wenn man in der Oberwelt unterwegs ist, kann man sich nur heilen, indem man die kostenlosen Gaststätten der vier großen Inseln besucht, unabhängig davon, wie viel Leben der Charakter noch hat. Das ist ärgerlich, da die Kämpfe auf der Weltkarte zufallsbasiert sind und man so oft in heikle Situationen gerät, die man hätte vermeiden können.
- Generell sind die Kämpfe Fluch und Segen zugleich. Einerseits funktionieren sie wirklich gut und es macht Spaß, die verschiedenen Fähigkeiten zu nutzen, andererseits sind sie sehr langwierig gestaltet. Beinahe alles hat eine Animation oder einen Effekt.
- Auch gibt es nur eine begrenzte Auswahl an Ausrüstung. Zwar kann man das mit den Fähigkeiten der spielenden Charaktere aufwiegen, doch hier kommt erneut ein Problem zum Vorschein: Jede Figur hat eine bestimmte Rolle/Klasse zu erfüllen und man kann nur schwer davon abweichen.
- Die Menüführung ist schlecht. Beinahe jede Aktion muss mit einem Doppelklick bestätigt werden und die Items werden nicht wie üblich über eine große Liste gesteuert, sondern man muss an den Items nach rechts vorbeiscrollen.
- Obwohl die Optik überzeugen mag, merkt man schnell die fehlende Variation an Charakteren und Monstern. Jeder Stadthändler sieht gleich aus und die Monster der vier Inseln variieren zwar, wiederholen sich aber sehr schnell.
Die Geschichte und Charaktere begeistern nur teilweise
Hinsichtlich der Geschichte merkt man dem Game ebenfalls seinen Ursprung an. Während man anfangs mit wenig Input in die Welt geworfen wird, variiert das Ganze erzählerisch zwischen einer Ruhephase, während der man viel kämpfen muss, nur um dann eine dramatische Situation nach der anderen zu erleben. Dann erfolgt erneut eine große Ruhephase.
Zwar mag diese Erzählstruktur gerade bei groß angelegten JRPGs oder Gacha-Spielen funktionieren, diese bieten aber zumindest dazwischen ausgearbeitete Charaktere mit Tiefe. In Voice of Cards: The Forsaken Maiden wird Charaktertiefe schmerzlich vermisst. So lernt man etwa die blaue Miko direkt am Anfang kennen, nur um keine 30 Minuten später von ihrem Schicksal zu erfahren, das den eigenen Hauptcharakter oder Laty aber nur bedingt trifft, da die Haupterzählung weitergehen muss. Die Geschichte wird solide bis zum Ende erzählt und bietet eigentlich keine großen Schnitzer oder Überraschungen. Vieles hat man schon gesehen und gelesen. Das ist prinzipiell nicht schlecht, aber eben auch nicht sonderlich gut.
Tabletop-Ansatz bringt Schwächen mit sich
Und das wird durch die Entscheidung, das Ganze wie ein Tabletop-Spiel aussehen zu lassen, leider verstärkt. Es fehlen die Charakterinteraktionen zwischen all den Geschichten. Die wenigen Nebenmissionen bringen nur bedingt etwas, und die einzigen Interaktionen innerhalb der Story mit Laty werden auf zufällige Angelsequenzen reduziert. Erst gegen Ende, wenn die Ruhephasen kürzer werden und man dem Storyhöhepunkt entgegenkommt, merkt man eine gewisse Charakterentwicklung.
Diese wird auch nicht von den eigenen Entscheidungen beeinflusst. Gerade zu Beginn erzählt der GM, dass Entscheidungen Konsequenzen haben können. Im Laufe des Spiels gibt es aber nur zwei Situationen, die Konsequenzen nach sich ziehen. Eine davon ist beim Ende, die andere betrifft eine Nebenmission, deren Auswirkung auch nur marginal ist.
Leider hat man auch so seine Probleme, sich mit den Charakteren zu identifizieren. Der GM macht einen hervorragenden Job, aber irgendwann wünscht man sich dennoch, dass die Charaktere eigene Stimmen haben.
Musikalisches Highlight
Keiichi Okabe – muss man noch mehr sagen? In Zusammenarbeit mit Oliver Good und Shotaro Seo bietet das Spiel musikalisch eine Variation von Titeln wie im Erstlingswerk. Einerseits melancholisch-depressiv, andererseits märchenhaft optimistisch-mysteriös. Besonders schön sind die Interludes zwischen den Kapiteln mit Gesang.
Es gibt auch einen kostenpflichtigen DLC, der eine Jukebox mit ausgewählten NieR:Automata-Stücken ins Spiel integriert. Diese passt ziemlich gut in die düstere Welt von The Forsaken Maiden.
Solides JRPG mit wichtiger Preisfrage
Nach dieser Review mag man sich fragen, wie ich zu meiner Bewertung komme. Die Antwort ist einfach: Trotz der Fehler erlaubt sich das Spiel kaum grobe Schnitzer. Ja, es haut einen aber auch nicht um. Es führt die Grundmechaniken solide aus, traut sich aber ungern, seine eigenen Wege zu gehen.
Es wäre interessant gewesen zu sehen, wie es als Social Game funktioniert hätte, denn dem Spiel merkt man diesen Systemwechsel beinahe überall an, egal ob Umfang, Charakterisierung oder Optik. Und dann bleibt eben noch die Preisfrage. Zwar ist dieser mit 30€ (40€ mit DLCs) im Vergleich zu anderen Spielen niedrig angesetzt, er fühlt sich aber trotzdem etwas zu teuer an für die bis zu 20 Stunden Spielspaß. Ob ich das nächste Kapitel kaufen würde? Fraglich. Dann müsste die grundlegende Story sofort überzeugen.
Für Menschen, die vor allem keine 100 Stunden oder mehr in ein JRPG investieren wollen, ist der Titel durchaus empfehlenswert. Wenn das Spiel durch Angebote im Bereich von 15 – 20€ erhältlich ist, kann man eine generelle Empfehlung aussprechen – wenn man die Erwartungen niedrig hält.
Pro
- Prägnante Optik
- Schöner Soundtrack
- Ein JRPG was keine 100 Stunden dauert
- Spaßiges Kampfsystem ...
- Schöne 2D-Modelle
Contra
- Ursprung als Mobile-Game erkennbar
- Kaum Überraschungen
- Zu Release: Preisfrage
- Kein Wiederspielwert
- Kämpfe unnötig langwierig
- Schreckliche Menüführung
- Kein großer Charakterpool