The Legend of Heroes: Trails of Cold Steel – Northern War war eine lang erwartete Anime-Umsetzung meiner Lieblings-JRPG-Reihe, die in der Winter Season 2023 erschien. Aber leider wurde meine Vorfreude enttäuscht, da der Anime mein Fanherz nicht erreichen konnte. In diesem Artikel werde ich erklären, warum.
Hohe Erwartungen und erste Warnzeichen
Lavian Winslet lebt in Nord-Ambrien, dem ärmsten Staat des Landes Zemuria. Um ihre Heimat zu beschützen, meldet sie sich bei den berüchtigten Nord-Jägern zum Dienst. Doch auch dort verfolgt sie der schlechte Ruf ihrer Familie, denn einst wurde ihr Großvater Vlad, der als großer Held des Landes galt, als Verräter enttarnt. Um zu beweisen, dass sie nicht in seine Fußstapfen treten wird, stellt sich Lavian auch den unmöglichsten Herausforderungen, um jene, die sie liebt, zu verteidigen.
Eines Tages erhält sie den Befehl, gemeinsam mit Martin S. Robinson, Iseria Frost und Talion Drake auf eine gefährliche Spionagemission ins Erebonische Reich aufzubrechen und Informationen über eine neue potenzielle Gefahr zu sammeln, die droht, über Nord-Ambrien hereinzubrechen. (Anime-Beschreibung auf aniSearch.de)
Als die erste Ankündigung im März 2021 mitten in der Corona-Pandemie kam, war ich als großer Trails-Fan sehr begeistert. Ein Anime zu meiner Lieblingsfranchise? Das konnte doch nur gut werden! Ursprünglich für 2022 angekündigt, wurde der Start auf Januar 2023 verschoben. Doch nachdem die zwölf Episoden nun veröffentlicht wurden, muss ich als Fan sagen, dass mein Fazit zu der Serie enttäuschend ausfällt.
Anfangs waren die Informationen vielversprechend: Mit North Ambria wollte man eine Lücke in der Spielreihe schließen, die bislang nur am Rande erwähnt wurde. Dadurch hätten sowohl Fans der Reihe als auch interessierte Neueinsteiger einen Grund, die Serie zu schauen. Auch die Tatsache, dass der Fokus nicht auf dem eigentlichen Helden der Trails of Cold Steel-Reihe, Rean Schwarzer, lag, versprach interessante Story-Elemente.
Als dann die ersten bewegten Bilder gezeigt und das Animationsstudio benannt wurden, wollte meine Fanbrille die ersten Warnzeichen nicht wahrhaben. Tatsunoko Pro wurde als ein auf den ersten Blick kompetentes Studio benannt und das verantwortliche Team sah solide aus.
Die Ankündigung, dass es sich bei dem Anime um ein „globales Projekt“ mit einem kommenden Handyspiel handelt, war für mich kein Warnzeichen, schließlich gibt es solche Pläne bei Animes immer öfter (siehe zum Beispiel Princess Connect).
Aber wie man sich vom ersten Eindruck nur so täuschen lassen kann …
Positiv lässt sich nur wenig hervorheben
Ich muss vorangestellt noch einmal betonen, dass ich ein großer Fan der Reihe bin. Während ich Game-Projekte zu bestehenden Anime- oder Manga insgesamt recht kritisch sehe, dachte ich, dass es andersrum eigentlich klappen müsste. Zum Beispiel hat das .hack//-Franchise einige sehr gelungene (und viele durchschnittliche) Anime-Ableger hervorgebracht. Das kommende Blue Archive verspricht ebenfalls ein anständiges Animationsprojekt zu werden. Mit Arknights gab es darüber hinaus jüngst eine gelungene Anime-Adaption eines Handyspiels.
Zunächst die positiven Aspekte von Northern War: Der Anime schafft es dank der Game-Musik, die Atmosphäre der Videospiele rüberzubringen. Auch der Fanservice wird hervorragend präsentiert! Aber nicht falsch verstehen, ich rede nicht von der anzüglichen Seite, sondern allein von der Tatsache, dass man Charaktere animiert sieht, die man ansonsten nur als 3D-Modelle auf PS3/PS4-Niveau kennt. Das ist super und einer der wenigen Vorzüge. Zudem ist der Ansatz lobenswert, dass man nicht eine Spiele-Adaption vorlegt, sondern eine Story-Lücke schließen möchte.
Ein überdimensoniertes Projekt
In einem meiner älteren Artikel, der sich mit den schlechten Anime-Adaptionen von Visual Novels befasst, bemängele ich die Tatsache, dass zumeist versucht wird, eine 80 Stunden umfassende Geschichte mit mehreren Routen in zwölf beziehungsweise vierundzwanzig Episoden zu quetschen. Genau das trifft tatsächlich auch auf den Northern War-Anime zu. Obwohl es sich so gesehen um einen Original-Anime handelt, haben es die Screenwriter bei Nihon Falcom es geschafft, eine Story zu schreiben, die ohne Probleme als Videospiel funktionieren könnte – mit einer Spielzeit von um die 40 Stunden.
Es wurde allerdings nicht versucht, eine Geschichte zu erzählen, die als Anime funktioniert. Oft ertappte ich mich bei Gedanken wie: „Im Spiel würde man jetzt Quest X annehmen oder mit Charakter Y sprechen“.
Videospiel-Elemte als Anime funktionieren oft nicht
Das Franchise schafft es, dass in ruhigen Momenten die Charaktere im Vordergrund stehen und bei der Action die Story oft große Sprünge macht. Diese Momente gibt es auch 1:1 im Anime. Während man in den ruhigeren Momenten an die Welt herangeführt wird, wichtige politische Themen angesprochen werden und die Charaktere an Tiefe gewinnen, dient die Action dazu, die Story in das nächste Kapitel zu führen.
Das mag zwar im Videospiel hervorragend funktionieren, führt im Anime aber eher zu unfreiwillig komischen Situationen. So wird in einer der ersten Episoden ein Anschlag durch eine Terrorgruppe verhindert. Im Spiel wäre das eine Nebenmission, die man als Jaeger optional abschließen könnte, um bestimmte Gegenstände oder Lira zu gewinnen. Als Animeschauer hat man jedoch nicht die Möglichkeit, diese Mission optional zu machen, ohne die Episode ganz zu beenden.
Und das ist bei Weitem nicht die einzige Situation in den zwölf Episoden. Man merkt schnell, dass sich viele der Story-Elemente in der präsentierten Erzählweise sehr unnatürlich anfühlen.
Einer der Punkte ist zum Beispiel die Comedy: In den Spielen werden Comedy-Elemente entweder als Dialogwitz getarnt oder durch bestimmte Situationen abgespielt. Auch im Anime gibt es Comedy-Elemente, allerdings wirken sie, wie erwähnt, eher unfreiwillig komisch, wodurch selbst mir als Spiele-Fan oft nur Kopfschütteln bleibt und die Frage aufkommt, weshalb man das in dieser Form eingebaut hat. Der Titel wird als Military-Polit/Abenteuer-Anime mit Mecha verkauft, nimmt sich in den „lustigen“ Szenen aber absolut nicht ernst. Dadurch entsteht eine völlig andere Gewichtung, welche mit Sicherheit viele abschrecken wird.
In den zugrunde liegenden Spielen hat man sehr viele Möglichkeiten, die Lore der Spielwelt zu entdecken: Man kann sich mit NPCs unterhalten, Bücher lesen und vieles mehr. Im Anime hingegen wird die grundsätzliche Prämisse in der ersten Episode abgehandelt, indem eine Oma einen Monolog über vergangene Zeiten führt. Das mag erneut als Videospiel funktionieren, im Anime wird man jedoch dabei erschlagen. Es fühlt sich an wie eine PowerPoint-Präsentation, die man nicht abbrechen kann.
Zu viele Charaktere und zu wenig Zeit
Und damit nicht genug: Das Legend of Heroes-Franchise ist für den riesigen Charakterpool bekannt. In den Spielen lernt man im Laufe der Zeit viele verschiedene Figuren kennen, die immer wieder sinnvoll in die Geschichte eingebaut werden. Gerade bei den späteren Trails of Cold Steel-Teilen werden so viele Story-Fäden zusammengeführt, dass viele wichtige Charaktere eine gewisse Screentime haben.
Zeitlich gesehen spielt Northern War zwischen dem zweiten und dritten Trails of Cold Steel-Spiel. Dementsprechend gibt es zahlreiche eingeführte Charaktere. Anstatt sich in den nur zwölf Folgen auf eine kleine Auswahl zu fokussieren, geht man einen komplett falschen Weg: Es muss scheinbar auf Teufel komm raus jede erdenkliche Person, die eine halbwegs wichtige Rolle in den Spielen hatte, gezeigt oder mindestens erwähnt werden. Das bläht den Cast nicht nur unnötig auf, es gestaltet sich auch als unmittelbarer Nachteil für die eigentliche Story. So erscheinen Charaktere bei brenzligen Situationen aus dem Nichts und die Geschichte unternimmt plötzliche Wechsel auf jene Personen. In Videospielen hat man zwar Möglichkeiten, so etwas dynamisch zu zeigen, bei einem Anime wirkt das durch die Erzählstruktur jedoch wirr. Ein desaströses Storytelling mithilfe von Charakteren zu retten, die zuvor mit der Situation nichts am Hut hatten, funktioniert selten. Hier ist es gescheitert.
Man kann wirklich froh sein, dass das Fundament einigermaßen solide ist und die Serie somit kein Totalschaden ist. Die Lorbeeren dafür muss man aber Nihon Falcom geben, da diese die Welt überhaupt erschaffen haben und so alles organisch wirkt. Dem Anime-Team ist das hier nur selten gelungen.
Die für den Anime eingeführten Charaktere sind oftmals blass und scheinen gar komplett austauschbar. Obwohl zu einigen davon eine für die Lore durchaus interessante Geschichte erzählt wird, wirken die Figuren fehl am Platz. Für die Story sind sie praktisch (oder gänzlich) irrelevant. Lavian als Hauptcharakter ist in Ordnung, man merkt ihr aber an, dass nicht genau gewusst wurde, wie sie präsentiert werden soll. Das „Besondere“ der Spiele ist, dass sich die Hauptcharaktere allesamt anfühlen, als würden sie normale Menschen in einem großen Konflikt sein. So eine Erzählstruktur ist auch im Anime möglich, allerdings muss vieles entsprechend angepasst und umgeschrieben werden. Das ist hier leider nicht gegeben.
Optisch oft ungenügend
Leider kann der Anime in anderen Bereichen ebenfalls kaum punkten. Ich bin ehrlich: The Legend of Heroes: Trails of Cold Steel – Northern War sieht echt nicht gut aus. Viele Charakterdesigns wirken off-model. Die Kamera zeigt zudem oft nur Nahaufnahmen. Mimik und flüssige Bewegungen sind beinahe schon selten. Dadurch wirkt die Action billig. Auch ruhigere Momente mitsamt den politisch schweren Dialogen werden davon nicht verschont – alles wirkt schrecklich belanglos. Da ist der Einsatz von CGI wahrlich das geringere Übel, so sind diese Passagen immerhin weitestgehend flüssig animiert.
Damit nicht genug: Es gibt keinerlei stimmige Inszenierung; vieles fühlt sich komplett „platt“ an. Räume und Ortschaften sind JRPG-typisch absolut überdimensioniert und Lichteinfälle wirken unnatürlich.
Immerhin gibt es musikalisch, vor allem für die Fans des Originals, etwas für die Ohren: Man hat viele Lieder aus den Spielen verwendet, was einige mit Sicherheit in Erinnerungen schwelgen lässt. Auch das Opening passt musikalisch zum Franchise und könnte so auch als Opener in einem Spiel funktionieren.
Gleichzeitig ist das das einzige Positive am Opening. Unglaublich, dass ich das sage, aber: Visuell erinnert mich das Opening an Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Die Art, wie die Charaktere in die Bildschirmmitte gleiten, erinnert glatt an die GZSZ-Präsentation oder an jede andere deutsche Daily-Drama-Serie mit dieser Art von Intro.
Das Ending verzichtet dagegen komplett auf Animationen und besteht praktisch nur aus Standbildern. Aber auch hier ist die Musik vernünftig gewählt und die gezeigten Momente kommen schön zur Geltung.
Selbst für Fans schwer zu genießen
Ihr merkt es vielleicht schon: Der Anime ist leider wirklich nicht gut. Die Vorfreude, die ich anfangs auf den Titel hatte, ist praktisch schon mit der ersten Episode verflogen. Und auch nach dem Ende muss ich sagen: Tut mir leid, aber das war nichts.
Während die eigentliche Lore eine solide Welt mit einer Tiefe bietet, die viele Isekai-Welten in den Schatten stellt, fühlt sich jede Minute des Anime so an, als hätte man bei der Produktion eine falsche Entscheidung nach der anderen getroffen. Egal, ob es sich dabei um die schrecklichen Comedy-Sequenzen oder die Episoden handelt, die unwichtige Nebenmissionen als elementares Story-Element präsentieren. Man hat auf ein komplett falsches Pferd gesetzt und versucht, eine Geschichte zu erzählen, die sowohl die Fans glücklich macht als auch neue Leute für die Spiele begeistert. Während man mit den vielen Charakter-Cameos die Fans anfangs noch begeistern konnte, wurde es im Verlauf einfach viel zu viel und man fragte sich, wieso diese überhaupt in dieser Menge eingebaut wurden.
Und was ist mit dem interessierten Anime-Fan, der nie Kontakt mit dem Franchise hatte? Dieser wird wahrscheinlich von der mangelhaften Produktion, der wirren Erzählweise sowie den belanglosen Momenten wie der Comedy oder der banalen Story abgeschreckt.
Man hätte diese Storylücke am besten mit einem richtigen Spiel schließen sollen. Im Endeffekt hat der Anime zu viel gewollt und ist krachend gescheitert.
Daher würde ich empfehlen, die zugrundeliegenden Spiele zu spielen. In meinem Artikel zur Trails-Reihe findet ihr viele weitere Informationen zu den Spielen. In den besten Momenten unterhält die Anime-Serie allenfalls durchschnittlich (6/10) – und die Highlights lassen sich wirklich an einer Hand abzählen.