Wie eine KI-Firma versucht, in der deutschen Anime-Branche einzusteigen

Keine Frage: Das Thema KI, also künstliche Intelligenz, hat in den letzten Jahren in nahezu jeder Branche an Bedeutung gewonnen. Mittlerweile gibt es sogar Zahnbürsten mit KI-Funktionen.

Wie ist der Status aber im Bereich Anime und Manga? Auch wenn dieses Thema allein einen eigenen Beitrag wert wäre, soll hier ein spezieller lokaler Aspekt beleuchtet werden.

Während technisch begeisterte Menschen oft von KI fasziniert sind, gibt es viele kritische Stimmen aus kreativen Branchen. Ob bildende Kunst, Musik oder die Synchronbranche – Menschen, die mit ihrer Leidenschaft kreative Werke schaffen und davon leben, sind besorgt. Besonders in der Synchronbranche besteht die Angst, dass KI-Stimmen ihre Existenz gefährden und sie ersetzen könnten.

Einige Menschen befürworten jedoch den Einsatz von KI, etwa bei Übersetzungen für Untertitel oder der Bearbeitung kompletter Manga und Light Novels. Firmen wie Orange Inc., die umfassende Übersetzungsdienste anbieten, gewinnen dabei an Bedeutung, da sie helfen könnten, mehr Titel im Westen zu veröffentlichen. Problematisch ist jedoch, dass KI-Übersetzungen zwar maschinell korrekt arbeiten, aber weder Kontext verstehen noch sich der Situation (Comedy!) anpassen können. Die erhoffte Arbeitszeitersparnis bleibt oft aus, da dennoch eine professionelle Nachbearbeitung erforderlich ist. Das zeigt vor allem ein Titel der vor kurzem angekündigt wurde und als “KI-Anime” beworben wurde: Twins Hinahima wirbt damit, zu 90% mit KI-Inhalten gefüttert worden zu sein – händische Nachbearbeitung war und ist trotzdem nötig. 

In Deutschland ist das Thema allerdings noch eine Randerscheinung. Größere Produktionen, die auf KI-Arbeiten setzen gab es bislang nur bei einzelnen Promo-Bildern. Aber sie existieren und sind auch für Kino-Gänger geplant. Ein Beispiel dafür ist der Film BLACK DOG, in dem KI-Stimmen eingesetzt wurden. Die Fan- und Sprechenden-Resonanz? Ein Blick in die Kommentarspalten spricht Bände.

Die Anime- und Mangabranche ist sich jedoch weitgehend einig, dass künstliche Intelligenz maximal für interne Abläufe eingesetzt werden sollte, ohne die Arbeitsplätze von Kreativschaffenden zu gefährden.

Der Fall TNT Media

Bekannt wurde das Thema durch eine News-Ausgabe von NinotakuTV, in der es ausführlich behandelt wurde (inkl. Timestamp).

In diesem Segment zitiert Nino die offizielle Internetseite von TNT Media, einem Synchronstudio, das deutschen Animefans vor allem durch Tonproduktionen wie SPY x FAMILY, Meine Wiedergeburt als Schleim in einer anderen Welt oder Kaguya-sama: Love is War bekannt sein dürfte, und beleuchtet deren Haltung zur (kommenden) Nutzung von KI in der Synchronbranche.

Zusammengefasst sieht das Synchronstudio TNT das Thema wie folgt:

  • KI soll Sprechende nicht ersetzen, sondern lediglich als Ergänzung dienen. Die Nutzung KI-basierter Technologien erfolgt ausschließlich mit ausdrücklicher Vereinbarung. Künftig werden reguläre Gagenscheine eine Ausschlussklausel für unautorisierte KI-Nutzung enthalten.
  • KI soll eine Ergänzung, kein Ersatz sein. KI soll hauptsächlich in Märkten eingesetzt werden, die bisher keine Synchronisation erhalten, wie etwa Polen. Sprechende können ihre Stimmen projektbezogen lizenzieren. Mithilfe von „Projektboxen“ wird Missbrauch ausgeschlossen. Als Basis soll hierbei die deutsche Synchronfassung dienen.
  • TNT arbeitet für das Projekt mit einem Drittanbieter zusammen, der alle Datenschutzstandards erfüllt.
  • Transparenz und Austausch mit Sprechenden sowie Branchenverbänden sind für TNT essenziell. Ziel ist es, die Synchronbranche gemeinsam zukunftsfähig zu gestalten.
  • Finanzielle Vergütung ist ungewiss, man kann keine genauen Angaben machen und betont, dass man nicht spekulieren soll.

Die aufkommenden Fragen zu TNTs KI-Strategie sind durchaus berechtigt und beleuchten potenzielle Schwachstellen des Konzepts:

  • Wenn KI für bisher nicht synchronisierte Märkte gedacht ist, warum berichten Branchenverbände in diesen Ländern von aktiven Synchronszenen?
  • Warum wird der Drittanbieter auf der Homepage nicht namentlich erwähnt?
  • Wo und wie hostet der Drittanbieter die Server, und sind diese wirklich sicher?
  • Warum hat ein deutsches Synchronstudio Interesse, für das Ausland zu produzieren? An Aufträgen sollte es nicht mangeln.
  • Wieso sollten ausländische Firmen diese KI-Synchros, die auf den deutschen Synchronfassungen basieren nutzen und nicht direkt die Originalfassung verwenden und synchronisieren?
  • Wie kommt man an die Stimmproben aus dem Ausland?
  • Und wie sähe das Risiko aus, nach diesem erfolgreichen Testballon diese Synchros auch in anderen, größeren Märkten zu nutzen?
  • Sollte ein konkreter Plan für die Vergütung nicht bereits vorgelegt werden, um Skeptiker zu überzeugen?

TNT Media bietet auf ihrer Homepage Informationsveranstaltungen an, um solche und weitere Fragen in einem offenen Diskurs zu klären – allerdings in geschlossener Gesellschaft. Nach unseren Informationen aus der Synchronbranche haben diese Veranstaltungen bereits mehrfach stattgefunden, um Sprechende über das Angebot zu informieren.

Die Verantwortlichen

Speaker dieser Veranstaltungen sind unter anderem Martin Irnich, Geschäftsführer der FilmConfect GmbH und Gesellschafter von TNT Media, sowie Hermann del Campo.

Hermann del Campo ist Geschäftsführer, selbsternannter “KI-Evangelist & Experte” (via LinkedIn) von der Zaibr Innovations GmbH, einer im Oktober 2020 gegründeten und mittlerweile in Potsdam ansässigen Firma, die sich auf „Entwicklung, Vertrieb, Beratung, Produktion und Service von innovativen Produkten in den Bereichen […] AI (Artificial Intelligence), AR/VR […] spezialisiert hat. Auf den Münchner Medientagen konnten Interessierte KI-Synchron-Clips mit einem Anime-Fallbeispiel (KANON) aus dem Hause FilmConfect erleben. Ob die Sprechenden ihr Einverständnis dazu gegeben haben, ist jedoch nicht bekannt.

Das Programm trägt den Namen MIVOZ und wird auf der eigenen Homepage übrigens mit einem Anime-Bildschnipsel aus KANON präsentiert.

Dubiose KI-Software & unbeantwortete Fragen

MIVOZ gibt auf der Homepage keine konkreten Angaben darüber, wo die Dateien gespeichert werden. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass man sich an die Vorgaben der DSGVO (GDPR) und des EU AI Act hält und sowohl cloudbasierte als auch Vor-Ort-Lösungen anbietet. Im speziellen Fall von TNT konnte bei den Informationsveranstaltungen jedoch nicht genau geklärt werden, wo und wie die Server gehostet werden. Über das Impressum erfährt man allerdings, dass die Software von Zaibr bereitgestellt und entwickelt wird.

Für wen soll das Ganze attraktiv sein?

Nun stellt sich die Frage, wer die Zielgruppe ist. Langfristig möchte TNT Media alle zukünftigen Produktionen in den verschiedenen, vom Programm unterstützten Sprachen anbieten.

Und ja, die zu Beginn des Artikels erwähnten Anime-Titel wurden nicht zufällig gewählt: Marktführer Crunchyroll gehört im Anime-Segment zu den Hauptauftraggebern des Synchronstudios. Während der erwähnten Infoabende soll Crunchyroll mehrfach als möglicher Partner für dieses Projekt ins Gespräch gebracht worden sein. Aufgrund dessen habe ich mich mit Crunchyroll in Verbindung gesetzt und folgendes erfragt:

  • Wie steht Crunchyroll zum Einsatz von KI in der Synchronbranche?
  •  Plant Crunchyroll, gemeinsam mit Partnern KI-Synchronisationen für den deutschen oder ausländischen Markt zu erstellen?
  • Falls ja, wie werden die Synchronsprechenden, deren Stimmen verwendet werden sollen, vergütet?
  • Gibt es interne Überlegungen, wie sich solche Pläne auf kleinere Synchronbranchen auswirken könnten?

Ein Statement von Crunchyroll blieb bislang (23.12.2024, 11:00 Uhr) aus, bei der ich trotz mehrmaligen Nachhakens keine konkrete Antwort bekam.

Und was bedeutet das für die Synchronsprechenden?

Das Thema KI ist kontrovers, aber vielleicht könnte das Ganze finanziell attraktiv sein? Nun, es kursieren bereits nicht-offizielle, ernüchternde Zahlen. Obwohl TNT betont, man solle sich nicht an Spekulationen beteiligen, wurde während der Infoabende mutmaßlich die Aussage getätigt, dass pro Folge ein Budget im mittleren dreistelligen Bereich vorgesehen ist. Je nach Episodenlänge bliebe für die einzelnen Sprechenden dann nur ein zweistelliger Betrag übrig, für den sie im Ausgleich die Rechte an ihrer Stimme für die anderssprachigen KI-Synchros zur Verfügung stellen müssten. Wie diese Nutzungsrechte im Detail aussehen würden und ob sie für ein oder mehrere Projekte zum Einsatz kommen könnten, ist mir jedoch nicht bekannt. Zum Vergleich: Branchenüblich liegt die Grundgage bei 80 Euro, zusätzlich werden sogenannte Take-Gagen von 4 Euro pro Take gezahlt.

Dazu kommt eben noch die Tatsache, dass bereits vor dem Thema KI einige Sprechende nicht mit dem Synchronstudio zusammen arbeiten wollten. So gab es bereits davor Probleme mit der Bezahlung und eine Stimme aus einem beliebten Comedy-Anime musste in einem externen Studio aufgenommen werden. TNT Media ist trotz dem guten Rufes bei den Fans in der Branche umstritten.

Dementsprechend kritisch werden Projekte wie dieses oft auch von Synchronschauspielenden gesehen: Prominente Namen wie Giuliana Jakobeit (u.a. Ran Mori aus Detektiv Conan, Mimi aus Digimon) oder Max Felder (Eren Jäger aus Attack on Titan, Ron Weasley aus Harry Potter) haben sich (neben vielen anderen) schon öffentlich gegen die Nutzung von KI in Synchronfassungen ausgesprochen. Wie mir aus der Synchronbranche zugetragen wurde, haben bereits einige Personen die Konsequenz gezogen, fortan nicht mehr bei TNT aufzunehmen.

Auch gibt es über den BSD (Bundesverband Synchronregie und Dialogbuch), gemeinsam mit dem VDS (Verband Deutscher Sprecher:innen) und UVA (United Voice Artists) ein ausführliches Statement zum Thema KI im Synchronbusiness. Der Synchronverband „Die Gilde“ gab im Sommer ebenfalls ein ausführliches Statement zum Thema KI und lehnt die Nutzung klar ab.

Das Fazit:

Es bleibt abzuwarten, ob das erste große Pilotprojekt eines Synchronstudios zur Nutzung von KI im Synchronbereich erfolgreich sein wird. Während einige den Einsatz von KI begrüßen, vor allem in den höheren Ebenen großer Firmen, in denen nackte Zahlen wichtiger sind als Qualität oder Fanzufriedenheit, sind die Leidtragenden oft jene, die mit Leidenschaft dazu beigetragen haben, die Synchronbranche aufzubauen und populär zu machen.

Gerade im Bereich der Anime-Synchronisation hat sich die Reputation der Branche durch die starke Präsenz der Sprechenden in den sozialen Medien und offene Dialoge erheblich verbessert. Vor einigen Jahren war das noch anders. Mittlerweile wird gerade in der deutschen Community ein Ton des Respekts und gegenseitigen Austauschs gesucht, der von vielen wertgeschätzt wird.

Dass ein Synchronstudio jedoch diesen Schritt wagt und sich dem Thema KI „aggressiv“ öffnet, darf man allerdings auch nicht als „mutig“ bezeichnen. Es stehen einfach zu große Fragezeichen hinter allem. Dass man das Ganze überhaupt so früh publik gemacht hat, ohne den Menschen eine klare Roadmap zu präsentieren, veranschaulicht, wie schnell die KI-Blase platzen kann.

Wenn große Firmen wie ADN und in Zukunft vielleicht Crunchyroll in ihrem Statements Skepsis gegenüber dem Thema äußern und solche Kooperationen ablehnen, bleibt abzuwarten, ob das Thema KI in der Animebranche genauso schnell verschwindet wie NFTs nach der Corona-Zeit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Letzten Beiträge