Schulsettings in japanischen Anime: Identifikation und kulturelle Unterschiede

Jeder kennt sie, jeder liebt oder hasst sie: Das Schulsetting in Anime. Während wir im Westen uns eher ungern an die Schulzeit erinnern, handelt doch praktisch jeder Anime – passend oder unpassend (Hallo Seraph of the End) – von dieser Thematik. Doch was ist es, was die Japaner so fesselt und praktisch jeden dritten Anime darin spielen lässt?

Ein Verständnis der Demografie Japans ist wichtig

Um dieses Phänomen besser zu verstehen, müssen wir jedoch weiter ausholen: Wir müssen ein Verständnis für die Demografie und Kultur Japans bekommen. Bei der Erstellung eines Anime/Manga/einer Light Novel muss der Autor bzw. Produzent wissen, für welche Zielgruppe er den Anime produzieren möchte, da dies eine Voraussetzung für die Subventionierung des Projekts ist. Konkret geht es dabei um fünf Zielgruppen:

  • Kodomo (子供, dt. Kind)
    Wie der Name schon sagt, wird damit eine Zielgruppe von drei bis sieben Jahren definiert. Hier wird jedoch im Gegensatz zu den anderen Gruppen keine Unterscheidung nach Geschlechtern vorgenommen – es bleibt eine einheitliche Zielgruppe. Bekannte Anime in dieser Kategorie wären „Chii’s Sweet Home„, Doraemon oder das kürzlich erschienene „Pingu in the City„.
  • Shounen und Shoujo
    Als nächstes wären die auch im Westen bekannten Shounen (少年, Junge, Jugendlicher) sowie Shoujo (少女漫画, Mädchen, Mädchencomic) zu nennen. Diese werden als Zielgruppen mit einer Altersstufe von 8 bis 17 Jahren definiert. Zu den bekanntesten Titeln in diesen Kategorien gehören One Piece, Dragon Ball und Sailor Moon. Jedoch sind Shounen-Titel oft weitaus bekannter als Shoujo-Titel.
  • Seinen und Josei
    Als nächstes ist die Zielgruppe von 18 bis 34 Jahren gemeint. Zwar sind aufgrund des wachsenden Geburtenproblems mehr erwachsene Zuschauer vorhanden, jedoch zielt die Definition der Zielgruppe in erster Linie auf diese Altersspanne ab.

Diese Unterteilung der fünf Zielgruppen darf man nicht unterschätzen. Wie bereits erwähnt, hängt von dieser zielgruppenorientierten Entscheidung maßgeblich die Budgetanpassung des Projektes ab. So werden zum Beispiel Kinderanime, also solche, die für eine Zielgruppe von drei bis sieben Jahren produziert werden, komplett vom TV-Sender, auf dem sie ausgestrahlt werden, bezahlt. Hierbei wird als Ziel gesetzt, geringfügige erzieherische Maßnahmen umzusetzen, weshalb diese Titel oft tagsüber laufen.

Bei Shoujo und Shounen hingegen laufen die Anime meist während der Rush-Hour oder morgens, wenn die Schüler nicht in der Schule sind. Anime-Projekte, welche als „vielversprechend“ gelten, können externe Sponsoren akquirieren und diese als primäre Einnahmequelle für das Budget einplanen.

Direkter Vergleich mit dem deutschen Fernsehen

Seinen- und Josei-Anime laufen meistens spätabends oder nachts (oder auf Sendern, die nur Anime senden, aber PayTV sind). Solche Anime können nur dann gezeigt werden, wenn die Sendebeschränkungen gelockert werden – wie die USK in Deutschland.

FSK 12: 6:00 Uhr bis 20:00 Uhr
FSK 16: 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr
FSK 18: 23:00 Uhr bis 6:00 Uhr

Diese Titel werden jedoch nicht wie Kinderanime oder Shounen gesponsert und ein Platz im TV ist nicht garantiert. Diese Art von Anime müssen die Sendezeit bei den TV-Sendern kaufen. Sie sind auf Merchandise-Verkäufe wie DVD/BR angewiesen – was auch in Japan keine Selbstverständlichkeit ist, da sich die Preise für eine Volume bei einer 2-Folgen (!) BR/DVD zwischen 6.000 – 8.000 Yen einpendeln. Umgerechnet zahlt man also für 2 Folgen eines Anime rund 60 – 90€.

Natürlich gibt es auch Shounen-Titel, die erst spät nachts im TV laufen, jedoch sind diese eine Ausnahme.

Schulen sind einfache Stories

Schul-Settings sind in Anime sehr beliebt, aus folgenden Gründen:

Referenzennutzung

Ein Grund dafür ist die Verwendung von real existierenden Orten in den Geschichten. Insbesondere Kyoto Animation verwendet gerne solche Referenzen, indem sie beispielsweise Ortschaften nachbauen. Schule ist dabei eine naheliegende Wahl, da diese grundlegend ähnlich aufgebaut sind und das Schulleben in Japan sich in gewisser Weise standardisiert abspielt. Allerdings könnte man diesen Punkt auch als mangelnde Kreativität sehen, da durch die Verwendung von realen Schauplätzen eine gewisse Originalität verloren geht.

Idealisierung sowie Nostalgie

Während im Westen die Schulzeit oft als entscheidender Punkt angesehen wird, um eine berufliche Richtung zu wählen, ist sie in Japan von viel größerer Bedeutung. Für viele Japaner ist die Schulzeit die letzte Gelegenheit, ihre Wünsche und Träume „richtig“ auszuleben, ohne gesellschaftlichen Druck. Die Vorurteile, dass Japaner fleißig sind, kommen nicht von ungefähr. Außerdem entscheidet der Name der (privaten oder öffentlichen) Schule, von der man kommt, darüber, ob man bei vielen Unternehmen angestellt wird oder nicht. Etwas, was im Westen undenkbar ist, ist in Japan immer noch üblich – die Auswahl nach dem Nachnamen. Der Nachname beeinflusst die Reputation teilweise noch immer. Selbst wenn man in allen Fächern eine 1+ hat, ist man automatisch unten durch, wenn der Name beispielsweise einem Massenmörder ähnelt. Hingegen wird man trotz GLEICHER Qualitäten besser angestellt, wenn man einen Namen hat, der z.B. aussagt, dass die Familie über 100 Ecken mit dem Kaiser verwandt ist. Viele Menschen in Japan können diesen Druck nicht bewältigen und verlieren sich als NEETs in Anime. Anime zeigen oft eine idealisierte Form des Highschool-Lebens, ohne Druck und ohne wirkliche Bedenken bezüglich der Zukunft. Die Charaktere in Anime können sich somit ausleben. Deshalb ist es für Japaner sehr einfach, sich in die Charaktere hineinversetzen zu können, da sie praktisch alles durchgemacht haben, was auch in Anime zu sehen ist. Wenn man sich verschiedene Statistiken ansieht, sieht man, dass rund 95% aller Oberschüler die High School abschließen – im weltweiten Vergleich ist dies der dritte Platz. Im Vergleich dazu ist das weitaus „freiere“ College mit einer Abschlussrate von 53% eher benachteiligt.

Man will auf Nummer sicher gehen

Als Produzent hat man bei der Erstellung eines Projektes zwei Möglichkeiten:

Entweder geht man die sichere Route mit einer High School, die bei 95% der Schüler gute Erinnerungen hervorruft, oder man wählt die gewagte Route mit einem College oder einem anderen Schulsetting. Referenzen gibt es überall.

Referenzen gibt es überall

Nehmen wir K-On!! als Beispiel, einen Slice-of-Life-Anime über Mädchen in einem High School-Musikclub, der prägend für viele Anime danach war. Die Fortsetzung aus den 2010ern endete damit, dass vier der fünf Mädchen die High School abschließen und aufs College gehen, während das fünfte Mitglied im letzten Schuljahr der High School bleibt. Hier endete der Manga. Durch den immensen Erfolg wurde der Autor jedoch dazu verleitet, zwei verschiedene Geschichten fortzuführen, die im besagten College spielen.

K-ON-Opener

Der Autor hat beschlossen, sein erfolgreiches Werk fortzusetzen (Hallo Naruto). Doch er hatte nicht mit der negativen Resonanz gerechnet, die daraufhin folgte. Er wurde von einem massiven Shitstorm getroffen, der sich aus Kommentaren wie „Warum sollte ich eine Geschichte über eine Schule lesen, die ich selbst nie besucht habe?“ oder „Ich will nicht sehen, wie sich meine Lieblingsfiguren verlieben und Freunde finden. Ich möchte sie unschuldig und rein halten“ zusammensetzte. Diese Kommentare kamen hauptsächlich aus dem japanischen Publikum. Der Autor hat schließlich die Fortsetzung eingestellt und arbeitet nun an anderen Projekten.

Obwohl diese oben genannten Punkte besser zu Shounen- oder Seinen-Anime passen, gehen an Mädchen orientierte Anime oft in eine andere Richtung. Im Gegensatz zu ihren männlichen Gegenstücken konzentrieren sie sich auf Charaktere und deren Beziehungen zueinander. Anstatt abenteuerliche Schauplätze wie in Shounen-Titeln zu wählen, werden vertraute Orte gewählt, an denen die Charaktere interagieren können. Die Welt dient hier nur als Mittel zum Zweck, der Fokus liegt auf den Charakteren. Da die Zielgruppe in einem entsprechenden Alter für solche Entscheidungen liegt, ist die Schule oft die naheliegendste Wahl.

Eine Ausnahme bilden Josei-Anime, die sich an erwachsene Frauen richten. Josei-Anime sind eher für ihr Drama bekannt und zeichnen sich durch ihre experimentelle Herangehensweise an Charaktere und deren Interaktionen aus. Das macht sie oft schwer zugänglich für die breite Masse. Obwohl Titel wie Usagi Drop und Hachimitsu to Clover sehr erfolgreich sind, bilden sie die Ausnahme.

Das Fazit:

Was gibt es nun zum Abschluss zu sagen? Schulen als Setting werden genutzt, damit der (japanische) Zuschauer sich damit identifizieren kann, jedoch nicht unbedingt als Person selbst. Trotzdem kann erwartet werden, dass der Zuschauer auf einer solchen Schule war und dementsprechend Sympathie für die Handlungen der Charaktere empfinden kann.

Ob diese Sympathie auch bei westlichen Zuschauern erzeugt wird, bleibt fraglich, da das Bildungssystem in den beiden Kulturen sehr unterschiedlich ist. Es gibt jedoch mehr als genügend Alternativen im Medium, wer also kein Schulsetting haben möchte, findet auch andere Optionen.

5 Antworten

  1. Defintiv ein sehr interessanter Beitrag. Hätte bei dem Titel nicht gedacht, dass du so stark auf die verschiedenen Altersstufen wie Shounen, Josei etc. eingehen würdest. Das hat mir ziemlich gut gefallen, auch wenn ich das meiste hiervon schon wusste.

    Ich finde es gerade interessant, dass du erwähnt hast, dass Schulen auch oft aus einer gewissen Faulheit genutzt werden um sich kein Setting überlegen zu müssen und dann K-On! erwähnst. Ich denke, dass K-On! ein grossariges Beispiel dafür ist wie gut man eine Highschool ausarbeiten kann und somit das Setting zum Leben erweckt. Ich denke nämlich, dass KyoAni die Schule so ausführlich gezeigt hat, dass ich mich dort in echt zurechtfinden könnte. Allerdings ist KyoAni in der Beziehung ja eine Ausnahme und in den meisten Anime sehen die Highschools ja eher gleich aus.

    Interessanterweise ist Josei mittlerweile eines meiner Lieblings Genre geworden. Ich liebe einfach, wie stark die Charaktere und deren Interaktionen sehr oft in diesem Genre sind. Aber ich bin halt auch der Typ für den die Charaktere der wichtigste Teil an Anime sind. Shouwa Genroku Rakugo Shinjuu war in dem Zusammenhang einer der besten Anime der letzten Jahre, aber ich nehme mal an den hast du schon gesehen.

    Noch was zum Abschluss. Im Moment läuft der „Blogger Recognition Award“ und ich habe dich einfach mal nominiert. Kannst ja meinen neusten Beitrag angucken falls du da Lust hast mitzumachen.

    1. K-On! war jetzt speziell ein Beispiel, da es doch einen entscheidenden Anteil an den SoL-Serien mit Girls hat.

      KyoAni ist hinsichtlich Worldbuilding sowie Optik wahrlich eine Ausnahme. Schade das sie nur selten Experimente wie Nichijou wagen. Wäre ja fast ein Spotlingt-Blog wert *g.

      Ich bin leider ein ziemlich fauler Leser was Manga angeht – da finde ich Light Novel viel angenehmer zum lesen. Habe z.B. erst jetzt in der nacht I AM A HERO beendet.

      Ich weiß wie angesehen Genroku Rakugo ist, für mich selbst auch ein sehr interessantes Thema der Titel – ich muss jedoch in der Laune für sowas sein. Musste ich zum Teil auch bei Aria the Animation durchkämpfen. Ist aber auf der PtW.

      Oh, vielen Dank! 🙂 Fühle mich geehrt. Ich werde mir das ganze mal zu gemüte führen.

      1. Soweit ich weiss ist Nichijou bei uns deutlich besser angekommen als in Japan. Persönlich ist es einer meiner Lieblingscomedy Anime und ich würde gerne mehr sowas von KyoAni sehen. Mehr Action wäre sicher auch interessant, wenn man sich die flüssigen Kampfszenen in Phatom World anguckt.

  2. Hallo! ^^ Ich würde mal kurz gern was zu deinem Beitrag sagen, weil du K-ON! und die Fortsetzung davon erwähntest. Ich will jetzt hier nicht die Besserwisserin spielen oder so, aber ich hätte doch ein paar kleine Anmerkungen:

    – Also, K-ON! hatte nie eine Light Novel, sondern bloß einen Manga.
    – Der Autor hat die Fortsetzungsreihen nie abgebrochen, da beide, sowohl K-ON! Highschool als auch K-ON! College von vorneherein nur als One-shots geplant waren. Dass beide also nur aus einem Band bestehen, war schon so geregelt, bevor die Leser überhaupt darauf reagieren konnten.
    – Die “Kritik” am College-Teil wurde keineswegs wegen den Verliebtheitsthemen, die du hier ansprichst, ausgeübt, denn sowas kommt darin ja gar nicht vor. Die jap. Fans sind aber sowieso manchmal etwas… na ja… fanatisch, weswegen sie natürlich schon im Vorfeld ausrasteten, ohne die endgültige Handlung zu kennen.

    Das wollte ich nur anmerken, wenn das für dich okay ist. Ich bin da etwas zu sehr informiert, weswegen ich beim Lesen sofort das Bedürfnis hatte, einige Sachen nochmal etwas näher zu erläutern. Ansonsten sehr guter Beitrag und schönen Abend noch ^^

    1. Stimmt. Hab es gerade selbst nachgeschaut. Da hab ich mich wohl von den Light Novel-Adaptionen von KyoAni dazu verleiten lassen es als LN abzutun. xD

      Die japanischen Fans sind wahrlich etwas merkwürdig, allerdings ist dies auch sehr kulturbedingt.

      Kein Problem, ich schau das ich das im laufe der Nacht aktualisier!. Und vielen dank 🙂

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