Warum Visual Novel-Adaptionen selten als Anime funktionieren

In diesem Artikel geht es um das Thema Visual Novels, die in Japan sehr beliebt sind. Diese Text-Adventures, die oft sexuelle Inhalte enthalten, werden oft als Anime adaptiert. Aber warum funktioniert das nur selten? In diesem Artikel werde ich genauer erläutern, warum das so ist und was es mit diesem Phänomen auf sich hat.

Visual Novels – das etwas andere Videospiel

Visual Novels sind für mich als Spieler etwas Besonderes. Als jemand, der unzählige Stunden in Spielen wie Counter-Strike, Battlefield oder unkonventionellen Titeln wie dem Euro Truck Simulator 2 investiert hat, sind Spiele mit einem starken Fokus auf die Story wie Spec Ops: The Line immer ein Erlebnis.

Mit zunehmendem Interesse an Anime stößt man natürlich auf textbasierte Adventures aus Japan – die sogenannten visuellen Romane oder Novellen. Im Gegensatz zu Light Novels, die oft aus einem Standpunkt die Geschichte erzählen, können Visual Novels nicht mit dem (audio)visuellen Glanz eines herkömmlichen Anime dienen.

Meiner Meinung nach werden Visual Novels in der Form, wie wir sie kennen, produziert, weil die Geschichte, die ausgedacht und auf das Medium der Videospiele angepasst wurde, perfekt damit harmonisiert. Und genau deshalb sind Anime-Adaptionen bis auf einige seltene Ausnahmen immer grundsätzlich mies bis untragbar. Die Fate/-Reihe ist als Anime optisch ein Traum, jedoch fehlt es in Bezug auf die Charakterentwicklung im Vergleich zur VN geradezu an Tiefe. Und was ist mit Titeln wie Clannad? Ein anderes Thema…

Die Gründe für schlechte Visual-Novel-Adaptionen als Anime

Hier sind einige Gründe, warum das Medium Visual Novel in der Regel NICHT gut als Anime umgesetzt werden kann:

Die Länge

Dies ist vielleicht der wichtigste Grund. Man kann ein Spiel, das normalerweise 30-50 Stunden dauert, nicht auf unter 4 Stunden (bei einem 12-Folgen-Anime) kürzen, ohne auf wichtige Elemente verzichten zu müssen oder die Geschichte überhastet erscheinen zu lassen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass der fehlende Inhalt die Charakterentwicklung und -beziehungen beeinträchtigen kann. Als Beispiel hierfür kann man sich die Anime-Adaption von „Le Fruit de la Grisaia“ ansehen, in der eine weibliche Figur in nur drei Folgen eingeführt wird. Im Spiel erstreckt sich ihre Geschichte jedoch über zwei Wochen, und der detailreiche Hintergrund ihrer Qualen wird im Anime nicht angemessen umgesetzt. Allein die Hintergrundgeschichte dieser Figur könnte eine vollständige 12-Folgen-Serie füllen.

Dieses Problem kann auf fast jede andere Visual-Novel-Adaption übertragen werden. Es ist schlichtweg nicht möglich, die Dramaturgie und Tiefe, die Visual Novels bieten, in einem Anime angemessen umzusetzen.

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So wunderschön.
Zensur in Visual Novels – Der Einfluss auf Anime-Adaptionen

In der Nische der sogenannten Eroge/H-Games (oder Dating-Simulationen) ist Zensur ein besonders wichtiger Punkt. Diese Spiele haben ein simples Ziel: Als Junge oder Mädchen eine Gruppe von Mädchen oder Jungs zu treffen und sie zu verführen. Der Höhepunkt des Spiels ist dann der Geschlechtsverkehr.

Es gibt auch Dating-Simulationen, die ohne explizite Darstellungen auskommen, wie zum Beispiel Clannad. Allerdings zeigt dies auch, worauf es bei solchen Spielen ankommt: Die Interaktion zwischen den Charakteren. Intime Momente ändern grundlegend die Charakteristika einer Person und beeinflussen ihr Verhalten und ihre Reaktionen. Wenn solche Szenen im Anime zensiert oder herausgeschnitten werden, bleiben die Charaktere flach und ihre Entwicklung wird nicht ausreichend dargestellt.

Die Zensurproblematik erstreckt sich auch auf Visual Novels, wie z.B. Fate/Stay Night, wo Sexszenen zwischen Charakteren vorkommen. Wenn solche Szenen in Anime-Adaptionen fehlen, kann dies den Gesamteindruck der Charaktere und deren Beziehungen zueinander beeinträchtigen.

Der Hauptcharakter in Visual Novel Adaptionen

Einen Hauptcharakter einer Visual Novel im Anime zu animieren, ist mitunter eines der größten Probleme – schließlich dient der Hauptcharakter in der Visual Novel nur als eine Art Hülle, da die Entscheidungen immer noch vom Spieler getroffen werden. Doch als Anime muss der Hauptcharakter eine Tiefe vorweisen, welche glaubwürdig seine Entscheidungen dem Zuschauer übermittelt. Man muss praktisch eine Hülle zum Leben erwecken – man kann die Hülle auch Hülle sein lassen, jedoch würde das einen Anime deutlich verschlechtern.

Dies ist einer der Gründe, weshalb so viele Hauptcharaktere bei Visual Novel-Umsetzungen einfach nur langweilig und blass sind. Sie haben oft keine klaren Persönlichkeitsmerkmale oder Handlungsziele, da diese Aspekte in der Visual Novel vom Spieler gesteuert werden. In der Adaption fehlen diese wichtigen Elemente, was dazu führt, dass der Hauptcharakter keine ausreichende Tiefe oder Charakterentwicklung erhält.

Ein Beispiel hierfür ist die Anime-Adaption von Amagami SS, einer Dating-Simulation. Der Hauptcharakter ist in der Visual Novel nur eine leere Hülle, die der Spieler mit Inhalten füllt. In der Anime-Adaption wird jedoch versucht, ihm eine Persönlichkeit zu verleihen, was jedoch oft nicht gelingt und die Serie flach und uninspiriert wirken lässt.

Um dieses Problem zu umgehen, könnten die Adaptionen versuchen, dem Hauptcharakter eine klarere Persönlichkeit oder Ziele zu geben, die von der Visual Novel inspiriert sind. Eine andere Möglichkeit wäre, den Hauptcharakter in der Adaption zu einem Nebencharakter zu machen und stattdessen einen anderen Charakter in den Vordergrund zu stellen, der mehr Tiefe und Charakterentwicklung hat.

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Der Schwerpunkt und Auswahlmöglichkeiten

Der große Unterschied zu Manga und Light Novel besteht darin, dass man die Ereignisse im Spiel beeinflussen kann. Dies gibt einem das Gefühl, der Protagonist dieser Geschichte zu sein. Aber man hat auch zwei große Probleme, wenn man versucht, so etwas zu adaptieren.

Erstens müssen die Studios versuchen, die einzelnen Storypfade in eine mit einem roten Faden zu verbinden. Dieser Schritt selbst ist gleichbedeutend mit einer neuen Geschichte, und dieser Versuch kann klappen – oder auch nicht. Dann endet die Geschichte in einem mehr als wirren Durcheinander. Das beste Beispiel für solche Entscheidungen sind die Harem-Visual Novel sowie deren Adaptionen. Der Hauptcharakter MUSS mit JEDEM Mädchen/Jungen seine Momente bekommen, schließlich will man die Fans der Novel nicht vergraulen. Das Problem, dass der Hauptcharakter mit bis zu sieben Mädchen oder Jungen gleichzeitig ausgeht und das in echt ziemlich merkwürdig aussehen würde, wird gekonnt ignoriert. School Days hat dies in der Vergangenheit parodiert, aber das reale Problem, welches in meinen Augen dargestellt wird, ist der Schwerpunkt, welcher ein Hauptbestandteil einer Serie ist.

Wie ich oben bereits erwähnt habe, gibt es die besagte Route einer Dame aus Le Fruit de La Grisaia, welche eindeutig zu kurz ist. Das Problem ist jedoch, dass man noch vier weitere Geschichten (der anderen Mädchen) in den restlichen 10 Episoden unterbringen muss. Was als Visual Novel storytechnisch klappen kann, ist als Anime ein gewagtes Experiment, welches fast immer zu scheitern droht.

Entscheidungsmöglichkeiten nicht vorhanden

Ein weiteres Problem, das auf dem vorherigen aufbaut, ist das Fehlen von Entscheidungsmöglichkeiten – dem Herzstück einer Visual Novel. Es ist immer schwierig, VNs zu beschreiben, da es immer auf die Person ankommt, welche Entscheidungen sie wann getroffen hat. Wenn ich Route A liebe, weil daraufhin Ereignis B passiert, kann jemand, der Route B genommen hat und C als Ereignis bekommen hat, dies nicht einschätzen. Eine Kombination aller Ereignisse und Routen reduziert die Qualität der einzelnen Routen enorm, da sie komplett auf das Mindeste reduziert werden. Man muss diesen Gedanken nur ein bisschen weiterdenken und dabei beachten, dass ein (Videospiel-)Autor niemals gleichbleibende Qualität bei den einzelnen Geschichten bringen kann.

Nehmen wir nun Kyoto Animation als Mittelpunkt und dessen Anime repräsentieren die Routen im Spiel.

Route A wäre A Silent Voice,
Route B ist Das Verschwinden der Haruhi Suzumiya und
Route C ist Free!.

Die ersten beiden Routen sind qualitativ hervorragend, jedoch ist die dritte Route immer die, die nicht so gut ankommt. Demzufolge hat jede Person eine 33% Chance, die Route zu bekommen, die die schlechte Route darstellt.

Dies bringt mich nun natürlich wieder zum ursprünglichen Punkt meiner Aussage, dass Visual Novel-Adaptionen selten als Anime funktionieren können: Die Geschichten, die als Spiel sehr gut funktionieren, funktionieren oft nicht als Anime. Es gibt immer diverse Gründe, weshalb Visual Novels solche bleiben und keine Anime-Adaption bekommen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Art von Roulette (entweder es klappt oder nicht) irgendwann aufhört und dem Zuschauer dadurch einiges an Qualen erspart bleibt.

3 Antworten

  1. Für mich liegt das Problem nicht darin, dass VN nicht als Anime funktionieren, wie du es ausgedrückt hast, sondern dass VN Adaptionen einfach schlichtweg zu wenig Episoden bekommen um in den meisten Fällen etwas gutes daraus zu machen. Da ich das Grisaia Franchise zu meinen Favoriten zähle hat Studio 8bit sich in dem Zusammenhang zu meinem Hassstudio entwickelt. Dieses Studio sollte seine Finger von VN Adaptionen lassen. Ich hoffe, dass Rewrite deren letzter Versuch war.

    Allerdings stehen Anime wie Clannad oder Higurashi als gute Beispiele für VN Adaptionen. Ich z.B. finde, dass Clannads VN grösstenteils eine Katastrophe ist und sich nur extrem schwer liest, abgesehen von den Afterstory Teilen. Der Anime schneidet viele der Teile die mich stören heraus und kreiert für mich so eine angenehmere Erfahrung.

    Ausserdem, es sieht so aus als hättest du jemanden zum Korrekturlesen gefunden.

    1. Rein an der Episodenanzahl würde ich das komplett nicht festlegen – ein Steins;Gate ist immernoch eine sehr gute Umsetzung. Zwar hat S;G auch mehr Folgen bekommen, jedoch ist die Zeitreisen-Thematik wie in Higurashi auch eine, die in Anime generell sehr gut ankommt und auch dementsprechend passt.

      Musste mir gerade die Animegraphy von 8bit anschauen. Bis auf Shounen Maid ist da wirklich wenig gutes dabei. Ich glaub eher das die nich wissen was die produzieren wollen.

      Naja, Korrekturleser würde ich das jetzt nicht nennen – habe es komplett allein „korrigiert“. Ich hab mir nur viel Zeit für die Sache genommen und auch viele Sätze neugebildet usw.

      1. Mit Steins;Gate als Beispiel gibst du mir ja genau Recht. Für eine vielleicht 30 Stündige VN wie Steins;Gate reichen 24 Folgen vollkommen aus. Clannad ist einfach locker 60+ Stunden lang, weswegen es die über 40 Folgen braucht. Sicher ist einfach, dass 12 Folgen für die meisten VN einfach zu kurz ist.

        Das ist exakt, was ich unter einer Korrekturlesung verstehe.

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